Garou
dann wieder bleicher und fahler, dann sogar etwas rötlich. Aber niemand flog in die Luft. Nicht der Häher und auch sonst keiner. Ein großer Vogel flappte, und dann fiel er zu Boden wie ein Stein. Das Gegenteil von In-die-Luft-Fliegen sozusagen. Ferne Schüsse flüsterten über die Weide, und die Schafe machten sich Sorgen. Sogar die Ziegen verhielten sich ruhig, steckten die Köpfe zusammen und tuschelten.
Dann raschelte es auf einmal am Waldrand, und Lane und Madouc traten zwischen den Bäumen hervor. Madouc hatte es irgendwie geschafft, einen leuchtend orangen Hut auf ihre Hörner zu spießen. Lane sah erschöpft aus und besonders langbeinig. Beide schlüpften durch den Draht im Ziegenzaun, und während Madouc mit ihrem Hut auf der Ziegenweide blieb und von den anderen Ziegen neidisch umringt wurde, trabte Lane weiter, durch die Latte und zurück auf die Weide.
»Und?«, fragte Miss Maple. »Habt ihr den Häher erwischt?«
Lane schüttelte den Kopf. »Nein. Madouc hat den Springsatz fallen lassen, aber er ist nicht gesprungen, also ist Madouc gesprungen, und der Häher lag im Schnee. Aber dann ist er wieder aufgestanden. Und dann war ich auf einmal allein, und der Ziegenhirt hat mich befreit.«
»Der Ziegenhirt?«, fragte Maple.
»Der Ziegenhirt!«, sagte Lane. »Ich bin gerannt, und es war laut und leise, und am gefährlichsten war es dort, wo es leise war. Und sonnig. Aber der Hut hat uns beschützt.«
Die Schafe schwiegen. Es klang ein bisschen ... verrückt.
»Und die anderen?«, fragte Miss Maple.
»Ich weiß nicht«, sagte Lane leise. »Weg. Ich erinnere mich nicht.«
Aber sie erinnerte sich doch ein bisschen, an die vielen Schüsse, die sie gehört hatte, und schauderte.
Später kamen auch Othello, Maude, Heathcliff und Mopple aus dem Wald, und zu aller Überraschung auch der ungeschorene Fremde, der irgendwie gar nicht mehr so fremd war - aber noch immer sehr ungeschoren.
»Er hat uns gerettet!«, blökte Heathcliff. »Vor einem Monster und Männern mit Westen! Uns alle!«
Die Schafe staunten. Der Ungeschorene wurde von allen Seiten berochen, stand freundlich und schweigsam herum und kaute.
»Ich habe immer gewusst, dass das ein Schaf ist!«, erklärte Sir Ritchfield - und er hatte Recht.
Heide und Heathcliff spielten um den Ungeschorenen herum ein Versteckspiel, Cloud machte ihm ein Kompliment in Sachen Wolligkeit, und Maude fand auf einmal, dass er gar nicht so schlecht roch, eher würzig und appetitlich wie Schafgarbe.
Später, als der Schlossschatten schon wieder Richtung Weide gekrochen kam, langsam, aber unerbittlich wie eine Nacktschnecke, blickte der fremde Widder hinüber zum Apfelgarten und zum Waldrand, und ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen.
»Etwas stimmt nicht mit ihnen«, sagte er bekümmert. »Tache, Päquerette, Gris. Sie wachsen nicht. Die Lämmer wachsen nicht, und die Hörner wachsen nicht. Nicht einmal ihre Wolle wächst.« Er drehte nachdenklich den Kopf. »Meine Wolle wächst.«
Der Ungeschorene verabschiedete sich von Farouche, Grignotte, Boiterie, Sourde, Tache, Päquerette, Gris, Marcassin, Pre-de-Puce und zweimal von Aube.
Dann seufzte er und trabte hinüber zu den anderen Schafen, um im Nachmittagslicht zu grasen. Es war ein schöner Moment, und die Schafe kamen sich vollzähliger vor als seit langer Zeit.
Erst als immer mehr Autos mit lauten Männern in Grün und Orange auf dem Hof auftauchten und Mama aus dem Schäferwagen kam, ungewöhnlich bleich und ganz ohne eines ihrer aufwendigen Gesichter, fiel den Schafen auf, dass doch jemand fehlte.
Rebecca.
Rebecca war als Einzige nicht aus dem Wald zurückgekehrt.
Zach saß in der Scheune, das Band in den Händen, und versuchte, seine Enttäuschung wieder in den Griff zu bekommen. Schließlich ging es nicht nur um Ergebnisse, es ging darum, das Richtige zu tun. Und Zach hatte das Richtige getan - wenn auch mit den falschen Leuten. Die beiden Männer, die über ihm an die verschlossene Heubodentür hämmerten, waren keine russischen Doppelagenten. Nur ganz gewöhnliche Killer, die für ganz gewöhnliches Geld auf den Patron angesetzt worden waren. Weil er irgendeinem Verbrecher ein neues Gesicht gegeben hatte. Und jetzt musste er natürlich als Mitwisser ausgeschaltet werden. Zach gähnte. Die Identität des Patienten hatten die beiden Killer nicht verraten, selbst bei Zachs verschärften Verhörmethoden. Psychologischen Verhörmethoden, selbstverständlich. Zach hatte die beiden nicht angerührt.
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