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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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geworfener Squashball. Er plumpste in ihrer
beider Leben, und nun hatten sie zwei Jungen.
    Garp versuchte, einen zweiten
Roman zu schreiben. Helen nahm ihre zweite Stelle an; sie wurde
außerordentliche Professorin für Englische Literatur an der Universität im
Nachbarort: Garp und seine Jungen hatten eine Jungenturnhalle zum Spielen, und
Helen hatte dann und wann einen gescheiten graduierten Studenten, der sie von
der Monotonie jüngerer Leute erlöste; sie hatte außerdem mehr und
interessantere Kollegen.
    Einer von ihnen hieß Harrison
Fletcher; sein Gebiet war der viktorianische Roman, aber Helen mochte ihn aus
anderen Gründen – zum Beispiel war er ebenfalls mit jemandem verheiratet, der
schrieb. Sie hieß Alice, und sie arbeitete ebenfalls an ihrem zweiten Roman,
hatte ihren ersten allerdings nie beendet. Als die Garps sie kennenlernten,
fanden sie, man könne sie leicht für eine Ellen-Jamesianerin halten – sie sagte
einfach nichts. Harrison, den Garp Harry [300]  nannte, war vorher noch nie Harry
genannt worden – aber er mochte Garp, und er schien sich über seinen neuen
Namen zu freuen wie über ein Geschenk, das Garp ihm gemacht hatte. Helen nannte
ihn auch weiterhin Harrison, aber für Garp war er Harry Fletcher. Er war Garps
erster Freund, obwohl Garp und Harrison spürten, dass Harrison Helens
Gesellschaft vorzog.
    Weder Helen noch Garp wussten so
recht, was sie von »Quiet Alice«, wie sie sie nannten, halten sollten. »Sie
muss ein Monster von Buch schreiben«, sagte Garp oft. »Es hat ihr alle Worte
weggenommen.«
    Die Fletchers hatten ein Kind,
eine Tochter, die im Alter ungünstig zwischen Duncan und Walt lag. Es galt als
selbstverständlich, dass sie noch ein Kind wollten, aber das Buch, Alices
zweiter Roman, ging vor – danach würden sie ein zweites Kind bekommen, sagten
sie.
    Die vier aßen gelegentlich
zusammen zu Abend, aber die Fletchers waren strikte Außerhausesser – mit
anderen Worten, sie kochten beide nicht –, und Garp war in einer Phase, in der
er sein eigenes Brot buk und ständig einen Suppentopf auf dem Herd hatte.
    Helen und Harrison sprachen meist
über Bücher, über ihre Arbeit und ihre Kollegen; mittags aßen sie zusammen in
der Mensa, und abends telefonierten sie ausführlich miteinander. Und Garp und
Harry gingen zu den Footballspielen, den Basketballspielen und den
Ringerturnieren; dreimal in der Woche spielten sie Squash, Harrys
Lieblingsspiel und sein einziger Sport, aber Garp war ihm ebenbürtig, weil er
einfach der bessere Sportler war, besser in Form durch sein Laufen. Und weil
ihm diese Spiele Spaß [301]  machten, unterdrückte Garp ausnahmsweise seine
Abneigung gegen Bälle.
    Im zweiten Jahr ihrer
Freundschaft erzählte Harry ihm einmal, dass Alice gern ins Kino ging.
    » Ich nicht«, gestand Harry. »Aber falls es stimmt, was Helen gesagt hat, und du gern
hingehst, könntest du doch Alice mal mitnehmen?«
    Alice Fletcher kicherte bei
Filmen, besonders bei ernsten Filmen, und sie schüttelte bei fast allem, was
sie sah, ungläubig den Kopf. Es dauerte Monate, bis Garp merkte, dass Alice
eine Sprachstörung oder einen nervösen Sprachfehler hatte – vielleicht war es
psychisch bedingt. Zuerst dachte er, es sei das Popcorn.
    »Ich glaube, du hast ein
Sprachproblem, Alice«, sagte er, als er sie eines Abends nach Hause fuhr.
    »Tstimmt«, sagte sie und nickte.
Oft war es ein einfaches Lispeln, manchmal etwas ganz anderes. Gelegentlich war
es weg. Aufregung schien es zu verschlimmern.
    »Was macht das Buch?«, fragte er
sie.
    »Ich kann nicht klagen«, sagte
sie. Einmal war sie im Kino mitten in der Vorstellung damit herausgeplatzt,
dass ihr sein Roman Zaudern gefiel.
    »Möchtest du, dass ich etwas von
deinen Arbeiten lese?«, fragte Garp sie.
    »Tsicher«, sagte sie, und ihr
kleiner Kopf hüpfte auf und ab. Sie saß da und knetete mit ihren kurzen,
kräftigen Fingern an ihrem Rock herum. Ihre Tochter machte das, wie Garp
gesehen hatte, genauso – die Kleine rollte ihren Rock manchmal wie ein Rollo
bis über den Schlüpfer hoch. (So weit ging Alice allerdings nicht.)
    [302]  »War es ein Unfall?«, fragte
Garp sie. »Dein Sprachproblem. Oder ist es angeboren?«
    »Angeboren«, sagte Alice. Das
Auto hielt vor dem Haus der Fletchers, und Alice zupfte Garp am Arm. Sie
öffnete den Mund und zeigte hinein, als würde das alles erklären. Garp sah die
Reihen kleiner vollkommener Zähne und eine Zunge, die so schwellend und
rosig-frisch war wie die Zunge eines

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