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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Roger würde nie die Polizei anrufen.«
    Und nach einer Weile fingen
sie alle an, in unserem dunklen Vorort nach einem anderen Roger zu rufen. »Ist
da noch ein Roger?«, rief ein Polizist.
    »Roger!«, schrie der dicke
Bowlingspieler, aber mein dunkles Haus und die dunklen Häuser meiner Nachbarn
verharrten in angemessenem Schweigen. Bei Tageslicht, das wusste ich, würden
sie alle wieder verschwunden sein. Nur ihre Ölflecken und ihr zersplittertes
Glas würden bleiben.
    Erleichtert – und wie immer hocherfreut, dass Autos zu Schaden gekommen waren –
beobachtete ich sie weiter, bis im Morgengrauen die bulligen, ineinander
verkeilten Landrover endlich getrennt und abgeschleppt wurden. Sie glichen zwei
erschöpften Rhinozerossen, die man im Vorort erwischt hatte. Roger und der
dicke Bowlingspieler standen da und zofften sich und schwangen dazu ihre
Bowlingkugeln, bis das Licht der Straßenlaternen in unserer Straße ausging;
worauf sie sich, als [452]  hätten sie auf dieses Signal gewartet, die Hand gaben
und in entgegengesetzten Richtungen zielstrebig davongingen – zu Fuß.
    Später am Vormittag kamen
die Polizisten wieder und befragten die Anwohner, immer noch auf der Suche nach
dem anderen Roger. Aber ich half ihnen nicht weiter, so wie sie mir nicht
weiterhelfen, wenn ich einen Raser bei ihnen anzeige. »Na schön, wenn es noch
einmal vorkommt«, sagen sie mir in solchen Fällen, »lassen Sie es uns bitte
sofort wissen.«
    Zum Glück brauche ich die
Polizei nur selten; bei Ersttätern habe ich gewöhnlich Erfolg. Nur einmal
musste ich den selben Fahrer ein zweites Mal anhalten – und damit hatte es dann auch sein Bewenden. Es war ein arroganter junger Mann
in einem blutroten Klempnerwagen. Giftgelbe Buchstaben an der Tür verkündeten,
dass der Installateur mit einem »Roto-Rooter« Verstopfungsnöte beseitige und
Klempnerdienste aller Art verrichte:
     
    O. FECTEAU, KLEMPNERMEISTER
     
    Bei Zweittätern komme ich
schneller zur Sache.
    »Ich rufe die Polizei«,
sagte ich dem jungen Mann. »Und ich rufe Ihren Boss, den alten O. Fecteau an;
ich hätte ihn schon beim letzten Mal anrufen sollen.«
    »Ich bin mein eigener Chef«,
sagte der junge Mann. »Es ist meine Klempnerfirma. Hauen Sie bloß ab!«
    Ich begriff, dass ich O.
Fecteau persönlich vor mir hatte – einen flegelhaften, aber erfolgreichen
Burschen, den natürliche Autorität unbeeindruckt ließ.
    [453]  »In dieser Gegend wohnen
viele Kinder«, sagte ich. »Zwei davon sind meine.«
    »Ja, das erzählten Sie mir
bereits«, sagte der Klempner; er ließ seinen Motor aufheulen, als räusperte er
sich. In seinem Gesichtsausdruck lag die leise Andeutung einer Drohung, ähnlich
des schamhaarähnlichen Flaums, den er sich an seinem jungen Kinn stehen ließ.
Ich legte meine Hände auf die Tür – eine auf den Griff, die andere auf das
heruntergekurbelte Fenster.
    »Rasen Sie hier bitte nicht
mehr«, sagte ich.
    »Ja, ich werd mir Mühe
geben«, sagte O. Fecteau. Dabei hätte ich es bewenden lassen können, aber der
Klempner zündete sich eine Zigarette an und lächelte mir ins Gesicht. Ich
glaubte, in seinem miesen Gesicht die aufgestaute Gehässigkeit der ganzen Welt
zu sehen.
    »Wenn ich Sie dabei
erwische, dass Sie wieder so fahren«, sagte ich, »schiebe ich Ihnen Ihren
Roto-Rooter in den Arsch!«
    Wir starrten uns an, O.
Fecteau und ich. Dann gab der Installateur Vollgas und schaltete in den zweiten
Gang hoch; ich konnte gerade noch auf den Bürgersteig zurückspringen. Im
Rinnstein sah ich einen kleinen Kipplaster aus Metall, ein Kinderspielzeug; die
Vorderräder fehlten. Ich packte ihn und lief hinter O. Fecteau her. Fünf
Straßen weiter hatte ich so weit aufgeholt, dass ich den Kipplaster werfen
konnte; zwar traf er das Fahrerhaus des Installateurs und verursachte dabei
ganz hübschen Lärm, aber er prallte ab, ohne Schaden anzurichten. Trotzdem trat
O. Fecteau heftig auf die Bremse; ein halbes Dutzend lange Rohre schlidderte
dabei von der [454]  Ladefläche des Lieferwagens, und einer dieser
Metallschubkästen sprang auf und spuckte einen Schraubenzieher und mehrere
Rollen dicken Drahts aus. Der Klempner sprang aus dem Wagen und knallte die Tür
hinter sich zu; er hatte eine Schwedenzange in der Hand. Man sah ihm an, dass
er es nicht schätzte, Beulen an seinem blutroten Lieferwagen einzusammeln. Ich
griff nach einem der heruntergefallenen Rohre. Es war ungefähr ein Meter
fünfzig lang, und ich zerdepperte damit kurzerhand das linke

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