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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Steering-Mannschaften in Neuengland einleiten. In diesem Landesteil
hatte Ernie eine Iowa-Vorgabe, wie er es nannte. Als Ernie für immer gegangen
war, sollte es mit den Ringern der Steering School bergab gehen. Und vielleicht
war Garp für Ernie Holm immer etwas Besonderes, weil er der Erste von vielen
Steering-Stars war.
    Helen zeigte sich davon
unbeeindruckt. Sie freute sich, wenn die Ringer ihres Vaters gewannen, weil es
ihren Vater glücklich machte. Aber in Garps letztem Jahr, als er Kapitän der
Ringermannschaft der Steering School war, besuchte Helen keinen einzigen Kampf.
Sie schickte ihm jedoch seine Geschichte zurück, zusammen mit folgendem Brief:
    Lieber Garp,
    Deine Kurzgeschichte ist vielversprechend, obwohl ich glaube, dass Du im Augenblick
noch mehr Ringer als Schriftsteller bist. Du gehst sorgfältig mit der Sprache
um und hast ein Gespür für Figuren, aber die Handlung wirkt ziemlich
konstruiert, und das Ende der Geschichte ist ziemlich kindisch. Ich weiß es
jedoch zu schätzen, dass Du sie mir gezeigt hast.
    Viele
Grüße, Helen
    Es sollten natürlich noch
mehr Absagebriefe in Garps Schriftstellerlaufbahn folgen, doch keiner sollte
ihm je so [132]  viel bedeuten wie dieser. Helens Urteil war in Wahrheit noch milde
gewesen. Die Geschichte, die Garp ihr zu lesen gegeben hatte, handelte von zwei
jungen Liebenden, die auf einem Friedhof vom Vater des Mädchens ermordet
werden, weil er sie für Grabräuber hält. Nach diesem tragischen Irrtum werden
die Liebenden Seite an Seite beigesetzt; aus einem völlig unerfindlichen Grund
werden ihre Gräber prompt ausgeraubt. Es ist nicht klar, was aus dem Vater wird – von dem Grabräuber ganz zu schweigen.
    Jenny erklärte Garp, seine ersten
schriftstellerischen Bemühungen seien ziemlich unrealistisch, dafür wurde Garp
von seinem Englischlehrer ermutigt, der fast ein Schriftsteller war (einen
richtigen gab es an der Steering School nicht) – ein gebrechlicher Mann mit
einem Sprachfehler, der Tinch hieß. Er hatte üblen Mundgeruch, der Garp an den
Hundeatem von Bonkers erinnerte, der seinerseits an ein ungelüftetes Kabuff
voll abgestorbener Geranien gemahnte. Doch was Tinch sagte, war zwar nicht
wohlriechend, aber dafür ermutigend. Er lobte Garps Phantasie, und er brachte
ihm ein für allemal solide Grammatik und die Liebe zu einer präzisen Sprache
bei. Zu Garps Zeiten hieß Tinch bei den Jungen an der Steering School immer nur
Stink, und man bedachte ihn fortwährend mit Anspielungen auf seinen üblen
Mundgeruch. Mundwasser auf seinem Pult. Zahnbürsten mit der Schulpost.
    Nach einer weiteren solchen
Anspielung – einer an die Karte des literarischen Englands geklebten Tüte
Pfefferminzbonbons – fragte Tinch die Schüler seiner Aufsatz-Klasse, ob sie
fänden, dass er aus dem Mund rieche. Die Jungen saßen da, stumm wie die Fische,
aber Tinch suchte [133]  sich den jungen Garp aus, seinen Lieblingsschüler, seine
größte Hoffnung, und fragte ihn direkt: »Garp, würden S-s-sie sagen, dass ich
aus dem M-M-Mund rieche?«
    Die Wahrheit kam und ging durch
die offenen Fenster an diesem Frühlingstag in Garps letztem Jahr. Garp war für
seine humorlose Aufrichtigkeit, sein Ringen, seine Englischaufsätze bekannt.
Seine anderen Zensuren waren mittelmäßig bis schlecht. Schon zeitig, behauptete
Garp später, habe er sich im Ringen und Schreiben um Perfektion bemüht und sich
nicht verzettelt. Seine Ergebnisse beim Eignungstest fürs College, dass ihm
kein Fach sonderlich lag – er war kein Naturtalent. Das überraschte ihn nicht:
Er teilte mit seiner Mutter die Überzeugung, dass nichts von Natur aus kam.
Doch als ein Kritiker Garp nach Erscheinen seines zweiten Romans »einen
geborenen Schriftsteller« nannte, packte ihn der Schalk, und er schickte eine
Fotokopie der Kritik an die Testleute in Princeton, New Jersey, mit der
Aufforderung, doch bitte ihr Bewertungssystem zu überprüfen. Umgekehrt schickte
er eine Fotokopie seiner Testergebnisse an den Kritiker mit dem Vermerk:
»Vielen Dank, aber ich bin zu nichts ›geboren‹.« Garp war der Ansicht, er sei
ebenso wenig ein geborener Schriftsteller wie eine geborene Krankenschwester
oder ein geborener Kugelturmschütze.
    »G-G-Garp?«, stotterte Mr. Tinch
und beugte sich zu dem Jungen vor, der die furchtbare Wahrheit roch. Garp
wusste, dass er den jährlichen Preis für kreatives Schreiben gewinnen würde.
Tinch war immer der einzige Preisrichter. Und wenn er im Kurs Mathematik III , den er gerade

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