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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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glaubte Vater,
Zimmerbestellungen seien eine angemessene Art, das Personal vorzuwarnen.
    »Ich bin überzeugt, dass wir
in einem Haus, wo es Leute gibt, die sich als Tiere verkleiden, keine Zimmer zu
bestellen brauchen«, sagte Johanna. »Ich bin überzeugt, dass dort immer Zimmer
frei sind. Ich bin überzeugt, dass die Gäste dort regelmäßig in ihren Betten
sterben – aus Angst oder woran man eben so stirbt, wenn einen ein Verrückter in
einem stinkenden Bärenkostüm anfällt.«
    »Vielleicht ist es doch ein
richtiger Bär«, sagte Robo hoffnungsvoll – denn an der Wendung, die das
Gespräch genommen hatte, erkannte Robo, dass ein richtiger Bär vorzuziehen war.
Vor einem richtigen Bären hatte Robo, glaube ich, keine Angst.
    Ich chauffierte uns so
unauffällig wie möglich zu der dunklen, verwinkelten Ecke der Planken- und
Seilergasse. Wir hielten Ausschau nach der C-Pension, die eine B-Pension werden
wollte.
    »Kein Platz zum Parken«,
sagte ich zu Vater, der es bereits in seinem Block notierte.
    Ich parkte in der zweiten
Reihe. Wir saßen im Auto und spähten an der Pension Grillparzer hinauf; sie
ragte nur vier schmale Stockwerke zwischen einer Konditorei und einer
Tabaktrafik empor.
    »Siehst du?«, sagte Vater.
»Keine Bären.«
    »Keine Verrückten, hoffe
ich«, sagte Großmutter.
    [201]  »Sie kommen nachts«,
sagte Robo und blickte vorsichtig die Straße hinauf und hinunter.
    Wir gingen hinein und
lernten den Geschäftsführer kennen, einen Herrn Theobald, der Johanna sofort in
Alarmzustand versetzte. »Drei Generationen, die zusammen reisen!«, rief er.
»Wie in der guten alten Zeit«, fügte er, an meine Großmutter gewandt, hinzu,
»vor all den Scheidungen und den jungen Leuten, die alle allein wohnen wollen.
Unsere Pension ist eine Familienpension! Ich wünschte nur, Sie hätten Zimmer
vorbestellt – dann hätte ich Sie näher beieinander unterbringen können.«
    »Wir sind es nicht gewohnt,
im selben Zimmer zu schlafen«, sagte Großmutter.
    »Selbstverständlich nicht!«,
rief Theobald. »Ich meinte nur, ich wünschte, Ihre Zimmer könnten näher
beieinander sein.« Dieser Satz beunruhigte Großmutter entschieden.
    »Wie weit liegen sie denn
auseinander?«, fragte sie.
    »Nun, ich habe nur noch zwei
Zimmer frei«, sagte er. »Und nur eines ist groß genug, dass die beiden Jungen
es mit ihren Eltern teilen können.«
    »Und wie weit ist mein
Zimmer von ihrem entfernt?«, fragte Johanna kühl.
    »Sie haben das Zimmer genau
gegenüber vom WC !«, verkündete Herr Theobald freudig,
als wäre das ein großer Vorteil.
    Doch während er uns unsere
Zimmer zeigte, wobei Großmutter sich voller Verachtung am Ende unserer
Prozession neben Vater hielt, hörte ich sie flüstern: »So [202]  habe ich mir
meinen Lebensabend nicht vorgestellt. In Hörweite des WC !«
    »Die Zimmer sind alle
verschieden eingerichtet«, erläuterte uns Herr Theobald. »Die Möbel stammen aus
meiner Familie.« Das glaubten wir sofort. Das große Zimmer, das Robo und ich
mit unseren Eltern teilen sollten, war ein Museumssaal voller Trödelkram, jede
Kommode mit unterschiedlichen Griffen. Dafür hatte das Waschbecken Wasserhähne
aus Messing und das Bett ein geschnitztes Kopfende. Ich sah, wie mein Vater für
eine alsbaldige Notiz in seinem riesigen Block das eine gegen das andere abwog.
    »Mach das später«, sagte
Johanna zu ihm. »Wo schlafe ich?«
    Geschlossen folgten wir
Herrn Theobald und meiner Großmutter pflichtschuldig durch den langen,
verwinkelten Flur, wobei mein Vater die Schritte bis zum WC zählte. Der Teppich war zerschlissen und ausgeblichen.
An den Wänden hingen alte Fotografien von Eisschnellläufermannschaften – an den
Füßen die vorne merkwürdig gebogenen Schlittschuhe, wie Schuhe von Hofnarren
oder die Kufen altertümlicher Schlitten.
    Robo, der vorausgelaufen
war, verkündete, dass er das WC entdeckt hatte.
    Großmutters Zimmer war
voller Porzellan und polierter Möbel und mit einem modrigen Geruch. Die
Vorhänge waren klamm. In der Mitte des Bettes erhob sich ein beunruhigender
Wulst – wie das borstige Fell auf dem Rückgrat eines Hundes. Fast hätte man
meinen können, eine sehr schlanke Gestalt liege unter der Decke.
    [203]  Großmutter sagte nichts.
Aber als Herr Theobald wie ein Verwundeter, dem man gerade gesagt hat, dass er
mit dem Leben davonkommen wird, aus dem Zimmer gewankt war, fragte sie meinen
Vater: »Wie kommt die Pension Grillparzer darauf, auf ein B zu hoffen?«
    »Ganz entschieden

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