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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihrem Sohn, womit sie –
natürlich – Duncans Zeugung und ihre erste Regennacht mit Garp in der
verschlossenen, menschenleeren Seabrook-Turnhalle auf den von Wand zu Wand
ausgebreiteten warmen dunkelroten Ringermatten meinte.
    »So, jetzt hast du mich endlich
rumgekriegt«, hatte Helen ihm unter Tränen ins Ohr geflüstert, aber Garp hatte
auf der Ringermatte rücklings dagelegen und alle viere von sich gestreckt und
sich gefragt, wer hier wen rumgekriegt hatte.
    Als Mrs. Fields’ Mutter
starb, kam Jenny häufiger zu Helen und Garp zu Besuch, obwohl Garp sich
vehement gegen die »Entourage« seiner Mutter verwahrte. Denn Jenny Fields
reiste mit einem kleinen Kreis von Anbeterinnen oder anderen gelegentlichen
Begleiterinnen, die sich der künftigen »Frauenbewegung« zugehörig fühlten und
sich um Jennys Unterstützung oder Zustimmung bemühten. Und oft ließ ein Fall
oder eine Sache Jennys reine weiße [265]  Uniform auf dem Rednerpodium erforderlich
erscheinen; Jenny sprach allerdings selten sehr viel oder sehr lange.
    Meist kam sie als letzte Rednerin
an die Reihe und wurde als die Autorin des Buches Eine
sexuell Verdächtige vorgestellt. In ihrer Schwesterntracht stach sie
ohnehin überall heraus. Bis weit in ihre Fünfziger war Jenny Fields eine
sportlich-attraktive Frau mit einer frischen und natürlichen Ausstrahlung. Wenn
sie aufgerufen wurde, stand sie auf und nahm kurz zu den jeweiligen Themen
Stellung: »Das ist richtig!«, oder: »Das ist falsch!« – je nachdem. Sie war
diejenige, die den Ausschlag gab, denn da sie in ihrem eigenen Leben schwere
Entscheidungen getroffen hatte, konnte man darauf zählen, dass sie auch bei
anderen Frauenproblemen auf der richtigen Seite war. Garp, dem diese Logik
nicht einleuchtete, kochte und schäumte nach solchen Auftritten vor Wut. Einmal
fragte eine Reporterin einer Frauenzeitschrift an, ob sie ihn interviewen
dürfe, wie es sei, der Sohn einer berühmten Feministin zu sein. Als die
Reporterin entdeckte, welches Leben Garp für sich gewählt hatte – seine
»Hausfrauenrolle«, wie sie es hämisch nannte –, explodierte Garp.
    »Ich verbitte mir diesen
Ausdruck«, sagte er. »Ich mache einfach das, was ich immer machen wollte – und
bei meiner Mutter war es nicht anders. Sie hat auch immer nur gemacht, was sie machen wollte.«
    Die Reporterin ließ nicht locker;
er klinge verbittert – als unbekannter Schriftsteller sei es bestimmt nicht
einfach, eine Mutter zu haben, die einen Weltbestseller geschrieben habe. Garp
sagte, schwer sei für ihn vor allem, ständig missverstanden zu werden; er
missgönne seiner Mutter den [266]  Erfolg keineswegs; er habe lediglich manchmal
etwas gegen ihre neuen Freundinnen. »Diese Schmarotzer, die von ihren
Zuwendungen leben«, sagte er.
    Der Artikel in der
Frauenzeitschrift hob hervor, dass Garp »ebenfalls von den Zuwendungen seiner
Mutter lebe«, und zwar sehr komfortabel, und dass er kein Recht habe, der
Frauenbewegung gegenüber feindselig zu sein. Es war das erste Mal, dass Garp
das Wort »Frauenbewegung« hörte.
    Wenige Tage danach kam Jenny zu
Besuch. Ein Mitglied ihres »Schlägertrupps«, wie Garp sich ausdrückte,
begleitete sie: eine große schweigsame, mürrische Frau, die im Eingang von
Garps Wohnung stehen blieb und sich weigerte, den Mantel auszuziehen. Sie
behielt den kleinen Duncan im Auge, als warte sie mit äußerstem Unbehagen auf
den Moment, in dem das Kind sie anfassen könnte.
    »Helen ist in der Bibliothek«,
sagte Garp zu Jenny. »Ich wollte gerade mit Duncan spazierengehen. Kommst du
mit?« Jenny sah die große Frau, die sie begleitete, fragend an; die Frau zuckte
mit den Schultern. Die größte Schwäche seiner Mutter seit ihrem Erfolg, fand
Garp, bestand darin, »dass sie sich von allen möglichen verkrüppelten und
gebrechlichen Frauen ausnutzen ließ, die wünschten, sie hätten selbst Eine sexuell Verdächtige oder etwas ähnlich Erfolgreiches
geschrieben«.
    Garp wollte sich nicht in seiner
eigenen Wohnung von der sprachlosen Begleiterin seiner Mutter tyrannisieren
lassen – einer Frau, die groß und stark genug war, um deren Leibwächterin zu
sein. Vielleicht ist sie das ja, dachte er. Und er hatte plötzlich ein
unschönes Bild vor Augen: seine [267]  Mutter mit einem kessen weiblichen Gorilla –
einer lesbischen Killerin, die jede Männerhand von Jennys weißer
Schwesterntracht fernhalten würde.
    »Was ist mit der Zunge dieser
Frau los , Mom?«, flüsterte Garp seiner Mutter zu.

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