Gartengeschichten
Gleichgewicht. Wo könnte man darüber besser nachdenken als im Garten?
Der Reichtum, den die Natur verlangt, ist begrenzt und leicht zu beschaffen, der dagegen, nach dem wir in törichtem Verlangen streben, geht ins Ungemessene. Und: Man kann nicht in Freude leben, ohne vernünftig, edel und gerecht zu leben, aber auch umgekehrt kein vernünftiges, edles und gerechtes Leben führen, ohne in Freude zu leben. Man kann es aber nicht, wenn jene Voraussetzungen fehlen.
Um die Voraussetzungen muß es in seinem Garten all die Jahre gegangen sein. Und wie man es definiert, das Vernünftige, das Edle, das Gerechte. Er selbst wendete die Begriffe, vor allem den der Gerechtigkeit, immer wieder skeptisch hin und her. Und philosophierte über die Abwesenheit des Glücks, wenn Angst anwesend ist. Da kommen dann notwendig die Götter ins Gartenspiel. Es gab in diesem Kepos sicher auch einen Altar, ein Heiligtum. Epikur leugnete die Existenz der Götter nicht – er ging aber davon aus, daß sie sich um die Menschen nicht kümmern. Sie sind ewig, also in einer anderen Seinsform, in den Metakosmien . Sie belohnen nicht, sie strafen nicht, man muß keine Angst vor ihnen haben. Es sind nur ihre Stellvertreter auf Erden, die ihre Macht aus der Furcht vor dem Göttlichen beziehen. Aber schön undanbetungswürdig sind sie, die fernen Unsterblichen, und es schadet nichts, ihnen zu huldigen.
Man betrieb schon in der Antike Blumenzucht, für die Kränze, die man den Göttern opferte. Und ich kann mir den Garten des Epikur nicht ohne Blühendes vorstellen, Kamille, Rosen, Dill. Vor allem aber gab es mit Sicherheit Wasser. Die athenischen Gärten waren an Wasserläufen angelegt, an Bächen, es gab aber auch Wasserleitungen. Auch in Epikurs Garten wird es eine gefaßte Quelle oder einen Brunnen gegeben haben. Reden macht schließlich einen trockenen Mund, außerdem sind das Geräusch und die Kühle des Wassers dem Denken zuträglich. Das gilt unverändert bis zum heutigen Tag – wer sich im Glücklichsein üben und verbessern will, kommt ohne Wasser nicht aus.
Epikurs Garten stelle ich mir als einen ziemlich lauten Ort vor. Viele Menschenstimmen durcheinander, man hat ja wohl nicht flüsternd und einzelgängerisch vor sich hin philosophiert, da waren gewiß Widerspruch, Erörterung politischer Ereignisse, Lieder, Vogelstimmen, vielleicht auch Streit oder Kindergeschrei zu hören. Er war zwar einer, der die Ordnung als wichtige Lebensvoraussetzung pries – Das Dasein des Weisen wird nur in nebensächlichen Dingen vom Zufall gestört, denn die wichtigen, wirklich bedeutenden hat seine Überlegung im voraus geregelt, hält sie auch im Laufe der Zeit in Ordnung und wird sie immer in Ordnung halten –, daß man aber auch im sichersten Garten von Unvorhergesehenem, das innere Gleichgewicht Störendem überfallen werden kann, war ihm nicht verborgen. Die Überlegung muß also im voraus regeln , wie mit Krankheit, Schmerz und Tod umzugehen sein wird. Und es ist die Freude, die jenes wunderbare Gleichgewicht des Lebens wiederherstellen kann: Denn wo die Freude eingezogen ist, da gibt es,solange sie herrscht, weder Schmerzen noch Qualen oder gar beides.
Schmerz – den er in seinen späteren Jahren durch seine Krankheit intensiv kennenlernte – war für ihn nicht nur physisches Leiden, sondern auch das Entbehren. Den Schmerz des Entbehrens allerdings – von Macht, Reichtum, zügelloser Sinnlichkeit – hielt er für vermeidbar. Wenn die Sicherheit vor den Menschen sich auch bis zu einem gewissen Grade durch Macht stützen und durch Reichtum befestigen läßt, echter ist doch die, welche das Leben in der Stille und die Zurückgezogenheit vor der Masse verleihen .
Ein Garten läßt das Leben überschaubar erscheinen. Das hat Epikur sich zunutze gemacht. Ordnung, Zurückgezogenheit, Freiheit von Angst und Schmerz zwischen Bäumen und Büschen. Nicht Publikum, sondern Freunde, nicht Macht, sondern Weisheit. Die Fähigkeit, Freundschaft zu gewinnen, ist unter allem, was Weisheit zur Glückseligkeit beitragen kann, bei weitem das Bedeutendste.
Es könnte sein, daß einst dort im Kepos eine kleine Säulenhalle die Philosophierenden vor Regen geschützt hat. Schließlich gab sie, die Stoa, einer philosophischen Richtung, der die epikureische Erkenntnislehre durchaus nahestand, den Namen. Als Ersatz für die Stoa macht sich eine Pergola in jedem Garten gut, sie sollte Platz zum Einherwandeln bieten.
Epikur kam es darauf an, den Menschen die Angst
Weitere Kostenlose Bücher