Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
Niemand bemerkt, dass sie das halb gegessene Würstchen abermals fallen lässt.
» Take the ribbon from your hair «, singt Mama mit ihrer melodischen Stimme. » Shake it loose and let it fall, laying soft against your skin, like the shadows on the wall .«
Davina bewegt lautlos die Lippen. Sie hat das Lied schon so oft gehört, dass sie den Klang der Worte auswendig kennt. Obwohl sie den Sinn nicht versteht. Aber es ist ein Lied, das ihr gut gefällt.
Auch der hässliche Mann kennt den Text, er fällt in das Lied ein. Sie singen zweistimmig. Widerwillig muss Davina sich eingestehen, dass es schön klingt, die dunkle Männerstimme und die melodische Frauenstimme. Ihre Mutter legt den Kopf in den Nacken. » Come and lay down by my side ’till the early morning light. All I’m taking is your time. Help me make it through the night. «
Der Mann sieht ihrer Mutter tief in die Augen, während er singt, und Mama hat nur noch Augen für diesen Mann. Sie singt das Lied für ihn. Davina blinzelt ins Feuer. Ihr zieht es die Brust zusammen.
Was bildet sich dieser hässliche Mann bloß ein? Das Lied hat ihre Mama schon für viele Männer gesungen. Davina überlegt, ob sie ihm das sagen soll.
8
Sie schritten über endlos lange Flure. Niemand begegnete ihnen. Hinter der nächsten Ecke hörten sie leise, schabende Geräusche.
Eine Frau mit Kopftuch und im rosa Kittel wischte mit ausgreifenden Bewegungen den Boden, wobei sie eine glänzend feuchte Spur hinterließ.
»Guten Abend«, sagte Franca. »Wir suchen Frau
Reschkamp. Können Sie uns sagen, wo sie ist?«
Die junge Frau, offenbar Türkin, hielt einen Moment inne und musterte Franca und Hinterhuber von oben bis unten. »Polizei?«, fragte sie und riss die ohnehin großen Augen noch weiter auf. »Frau oben. Dritte Etage. Aufzug ist dort. Aber Treppe ist besser für Fitbleiben. Da hinten.«
»Danke«, sagte Franca. Hinterhuber und sie setzten sich in Bewegung.
»Gleich um Ecke!«, rief ihnen die Türkin hinterher.
»Sieht man uns jetzt schon an der Nasenspitze an, dass wir Bullen sind, oder woher wusste die das?« Hinterhuber strich sich die dunklen Locken zurück.
»Vielleicht bekommt Frau Reschkamp öfter Besuch von den Kollegen«, mutmaßte Franca. »Wäre zumindest eine Erklärung.« Leicht amüsiert fügte sie hinzu: »Ist es nicht erstaunlich, wie sich die Türkin um unsere Fitness sorgt?«
»Als ob wir nicht schon genug Fitness hätten«, brummte Hinterhuber.
Schon als sie die Treppe hochstiegen, sahen sie sie. Eine kleine, rundliche Frau im gleichen rosa Kittel wie die Türkin. Doch während die Bewegungen der Türkin schwungvoll gewesen waren, schien Frau Reschkamp von einer unsichtbaren Last gebeugt. Ihre Schultern hingen herunter, ihre Bewegungen waren träge. Gerade fischte sie umständlich einen triefenden Lappen aus einem Putzeimer, in dem weißer Schaum schwamm. Neben ihr stand ein blauer Reinigungswagen mit allerhand Gerätschaften.
»Frau Reschkamp?«, fragte Hinterhuber.
Die Frau hielt in ihrer Tätigkeit inne, richtete sich auf und blickte erschroc ken. Ihre Gesichtsfarbe war blass, fast weiß, wie die von Menschen, die sich wenig im Freien aufhielten.
»Könnten wir Sie einen Moment sprechen?«
»Ich weiß nicht.« Sie ließ den Lappen auf den Boden klatschen, bückte sich und befestigte ihn an einem Aluminiumstiel. Mit hektischen Bewegungen schob sie den feuchten Mopp hin und her, Bewegungen, die ganz anders waren als noch einen Moment zuvor, als sie sich unbeobachtet gefühlt haben musste. Die Hände steckten in überdimensional wirkenden rosafarbenen Gummihandschuhen.
»Ich bin spät dran. Außerdem sieht man es nicht gern, wenn ich …«, stammelte sie, ohne den Satz zu vollenden. Sie hielt den Blick gesenkt, während sie immer weiterwischte.
Eine Frau, die es gewohnt ist, sich zu ducken, dachte Franca.
»Es geht um Ihren Sohn Mario.« Hinterhuber hielt ihr seinen Ausweis hin.
»Was ist mit Mario? Hat er …« Wieder sprach sie den Satz nicht zu Ende. Sie wirkte nervös, ganz so, als ob sie mit einer schlimmen Nachricht rechnen würde.
Hinterhuber kratzte sich am Kinn. Es gab ein schabendes Geräusch. »Wir haben Ihren Sohn heute Nachmittag gefunden«, sagte er nach kurzem Zögern. »Im Andernacher Schlossgarten. Er ist tot.«
»Nein.« Abrupt hielt die Frau in ihrer Tätigkeit inne. Ungläubig riss sie die Augen auf, sah von einem zum anderen, und begann heftig den Kopf zu schütteln.
»Es tut uns sehr leid, Frau Reschkamp«,
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