Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
sagte Franca.
Ein Schrei ertönte, der durch Mark und Bein ging. Dann kippte die Frau um. Beim Fallen riss sie den Reinigungswagen mit sich. Es gab ein Riesengepolter. Der Eimer schwappte über, die Reinigungsflüssigkeit verteilte sich und hinterließ Schaumbäche auf dem Fußboden.
»Frau Reschkamp …« Franca beugte sich über sie, während Hinterhuber den Putzwagen wieder aufrichtete.
Sie schlug die Augen auf. Blinzelte. Ein glasiger, flehender Blick. »Das ist nicht wahr. Sagen Sie, dass das nicht wahr ist … bitte«, flüsterte sie tonlos.
»Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf.« Franca griff ihr beherzt unter die Arme. Sie registrierte, wie leicht die kleine Frau war. Ein Mädchen, noch nicht ganz erwachsen, mit tief eingekerbten Sorgenfalten um die Augen.
Als sie stand, strichen ihre Hände mechanisch mit den Gummihandschuhen den Kittel glatt, der nun zahlreiche feuchte Flecken aufwies.
»Geht es wieder?«, fragte Franca und sah sich nach einer Sitzgelegenheit um. Am hinteren Ende des Flurs standen mehrere kleine Sessel. Die Frau nickte. Franca wollte ihr ihren Arm reichen, doch sie steuerte bereits auf die Sitzgruppe zu. Hinterhuber folgte den beiden Frauen.
»Wollen Sie sich einen Moment setzen?«
»Eigentlich müsste ich …«, begann Frau Reschkamp zögerlich, »hier achtet man genau auf die Zeit.« Noch während sie sprach, ließ sie sich auf einen der Sessel fallen. Sie starrte vor sich hin. Dann hob sie den Blick und sah Franca mit weit offenen Augen an, in denen die nackte Angst stand. »Was ist mit meinem Jungen passiert?«, fragte sie schließlich tonlos.
»Er wurde erstochen« , antwortete Hinterhuber.
»Erstochen? Aber … wer hat ihm das angetan?« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.
Franca vermochte dem flehenden Blick kaum standzuhalten. Doch dann schien eine Verwandlung mit der Frau vor sich zu gehen. Sie richtete sich auf und streifte mit einer entschlossenen Bewegung die Gummihandschuhe ab. Ihre Hände waren überproportional groß und passten nicht recht zu ihrer kleinen Statur. Metzgerhände, dachte Franca. Rot und rissig. Brüchige Fingernägel mit Resten von rosafarbenem Lack.
»Wann haben Sie Ihren Sohn zuletzt gesehen?«, fragte Hinterhuber.
Die Frau sah ihn an, als ob sie seine Frage nicht recht verstünde.
»Wir würden gern mehr über Mario erfahren«, sagte Franca leise. »Je eher wir Anhaltspunkte haben, umso schneller können wir mit konkreten Ermittlungen beginnen.«
Die Frau blinzelte. Ihre Haut war grobporig und teigig. Die Wimpern um die kleinen Augen waren kurz und gerade. Als Schönheit konnte man sie nicht gerade bezeichnen.
»Was war er für ein Junge?«, fragte Franca, nachdem Frau Reschkamp noch immer schwieg.
»Ja, also …« Sie presste derart fest die Lippen zusammen, dass ihr Mund einen Moment lang nur noch ein lippenloser Strich war. Dann holte sie tief Luft und begann mit zittriger Stimme zu sprechen.
»Mario war ein niedlicher kleiner Knirps mit einem dunklen Lockenkopf. Ein hübsches Kind, jeder auf der Straße sprach mich auf ihn an.« Sie seufzte tief. »Er hing sehr an seinem Vater. Aber der hat uns verlassen. Da war Mario sieben Jahre alt. Und Gianna gerade mal fünf. Mario war nie ein guter Schüler, er war immer so ein Klassenclown, der mit irgendwelchen Hampeleien auf sich aufmerksam machen wollte. Dauernd riefen mich die Lehrer an, um mir ihr Leid zu klagen. Aber ich hatte selbst genug mit mir zu tun. Ich musste doch die Familie ernähren und konnte mich nicht richtig um den Jungen kümmern. Ja, und später wurde das immer schlimmer. Er wurde aufsässig und schwänzte die Schule. Da war er so zwölf, dreizehn. Pubertät eben, dachte ich. Wahrscheinlich fehlte ihm der Vater. Aber was sollte ich denn machen? Ich konnte ja keinen neuen Mann herzaubern. Ich dachte, das wächst sich aus. Wenn er älter wird, wird er schon vernünftig.«
Während sie sprach, füllten sich ihre Aug en mit Tränen.
»Eine Zeit lang hat es auch ganz gut geklappt. Dann wollte er aufs Gymnasium wechseln. Na gut, hab ich gedacht, wenn er unbedingt will. Soll er sich mal anstrengen. Aber dann ging’s wieder los. Schule schwänzen, immer nur am Computer sitzen, schlechte Noten. Da hab ich gesagt, jetzt ist Schluss, und hab ihm eine Lehrstelle besorgt. Automechaniker werden immer gebraucht, hab ich gesagt. Ist ja alles so schwierig heutzutage, da kann man von Glück sagen, wenn man überhaupt eine Lehrstelle kriegt.« Wieder presste sie die Lippen zu einem
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