Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
verdrängte. Bald würde sich etwas verändern. Sie spürte es. Bald würde sie Antwort erhalten auf all die drängenden Fragen, die in ihrem Inneren brannten. Und ihre Mutter würde ihr dabei helfen.
»Erinnerst du dich an das Gedicht von den Sternblumen?«
Davina nickte. Sofort sah sie die Wiese oberhalb des Laacher Sees vor sich, ihren Geheimplatz. Dort saß sie zusammen mit ihrer Mutter, die ihr eine Pusteblume hinhielt. Ein Moment voller Kinderglück. Seit Mama weg war, wusste sie nicht mehr, was Glück bedeutete.
»Das ist es, was du dir bewahren musst: die schönen Momente. Aber du darfst nicht stehen bleiben. Du musst immer weitergehen. Wenn dir jemand wehtut, dann schlag zurück. Wehr dich, wenn du verletzt wirst, schlucke nichts hinunter.«
Davina krümmte sich vor dem Altar wie ein Embryo. »Ja«, sagte sie. »Aber es ist so schwer.«
Manchmal dachte sie, sie ließe sich nichts gefallen. Und dann wieder, dass sie sich viel zu viel gefallen ließ.
»Ich hab’s auch geschafft, Zigeunerprinzessin. Jetzt bin ich frei. Frei.«
Etwas verhakte sich in Davinas Kopf. Etwas, das mit dem Sternblumen-Gedicht zu tun hatte. Wie lautete die Zeile? Sie schlug den abgegriffenen Band mit den Gedichten auf, blätterte darin. Da war es: » Erklär mir, Liebe « von Ingeborg Bachmann. Davina las sich das Gedicht laut vor.
Dein Hut lüftet sich leis, grüßt, schwebt im Wind, / dein unbedeckter Kopf hat’s Wolken angetan, / dein Herz hat anderswo zu tun …
Eine weitere Erinnerung blitzte auf. Sie sah sich und ihre Mutter auf einer Sommerwiese inmitten von Gänseblümchen. Ihre Mutter trägt einen Sonnenhut, der helldunkle Schatten auf ihr Gesicht malt. Ihr Mund lächelt. Sie spürt, wie Mamas Finger ihre Haare berühren.
Davina las weiter. Sie sah das Gedicht mit ganz neuen Augen. Manche Zeilen kamen ihr bekannt vor, von anderen wiederum dachte sie, dass sie sie nie zuvor gehört oder gelesen hätte.
»… von Flocken blind erhebst du dein Gesicht, / du lachst und weinst und gehst an dir zugrund .«
Mama hatte gelacht und geweint.
Davina hatte gelacht und geweint.
Bilder kamen ihr in den Sinn, die sie nicht sehen wollte.
Du gehst an dir zugrund .
Ein Zittern lief durch ihren Körper. Ihr Kopf war bleischwer. Ihr Herz stieß an die Rippen. Sie fühlte, wie die Tränen kamen, aber ihre Augen blieben trocken. Sie weinte nach innen.
»Mama, ich hab Angst«, formten ihre Lippen. »Angst vor der Dunkelheit. Angst vorm Leben. Angst vorm Tod. Angst vorm Alleinsein. Die Angst drückt mir aufs Herz und auf die Brust, sie schnürt mir die Luft ab … Da ist ein Riss in meinem Innern. Ich bin so verwirrt, Mama, ich schaff’s einfach nicht mehr. Ich halt es nicht mehr aus. Es wird mir alles zu viel. Hilf mir doch, bitte.«
Tränen rannen die Wangen hinunter, als sie die Augen öffnete. Wenn Mama jetzt da wäre, würde sie die Tränen wegküssen.
Das würdest du doch. Oder, Mama?
Sie sah auf die Athame in ihrer Hand und dachte daran, wie sie ihre Mutter mit dem Messer gesehen hatte. Sie selbst hatte dies ebenfalls schon öfter getan. Manchmal war das eine Lösung. Zumindest half es, den Druck zu lindern. Sie fühlte die kalte Spitze der Klinge auf ihrer Haut.
Bin ich wie du, Mama?
Bin ich dein Ebenbild?
25
»Er klingt wie ein kleiner Motor«, sagte Georgina. Es war ein Bild der Harmonie, wie Georgina dasaß mit der schnurrenden Katze auf dem Schoß.
Mutter und Tochter hatten zusammen Spaghetti Carbonara gekocht und zu Abend gegessen. Das hatte sich Georgina gewünscht. Nun genoss Farinelli offensichtlich die Streicheleinheiten, die er in reichlichem Maße erhielt.
Georgina hob den Kopf. »Weißt du, was ich komisch finde? Dass er überhaupt nicht gefremdelt hat. Wo er doch sonst so scheu ist. Immerhin war ich ja ziemlich lange weg«, sagte sie.
»Zu Männern kann er ausgesprochen biestig sein. Frauen gegenüber hat er mehr Vertrauen.« Franca lachte, als sie daran dachte, dass Farinelli einen ihrer Liebhaber regelrecht in die Flucht geschlagen hatte. Knurrend und mit gesträubtem Fell war er auf den armen Kerl losgegangen, der nicht recht wusste, wie ihm geschah. »Mit deinem eifersüchtigen Kater will ich es nicht aufnehmen«, meinte er noch, bevor er sich auf Nimmerwiedersehen verabschiedete. Allerdings war es um den Mann nicht sonderlich schade gewesen.
»Wieso hat Farinelli Frauen gegenüber mehr Vertrauen?« Georgina runzelte die Stirn.
»Ich glaube, das hat was mit seiner Vergangenheit zu
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