Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
es war nicht zu übersehen, dass Marie und Oliver einmal etwas miteinander verbunden hatte, das nicht mehr existent war.
Fünf Tage waren seit dem Mord an Mario Reschkamp vergangen, und trotz zahlreicher Befragungen und Erwägungen von Täter und Motiven hatten sich noch immer keine konkreten Ermittlungsansätze ergeben. Lillys Messer war untersucht worden, jedoch konnte bald ausgeschlossen werden, dass es eine Verbindung zu dem Mordfall gab. Weder die Länge der Klinge noch sonstige Merkmale stimmten mit Marios Verletzungen überein. Damit hatte sich einmal mehr eine hoffnungsvolle Spur als nichtig erwiesen, und sie konnten wieder ganz von vorn beginnen.
»Ich frage mich, ob das Zeug hier nicht ebenfalls einem kranken Hirn entsprungen ist. ›Buch der Schatten‹, wenn ich so was schon sehe. Wahrscheinlich hatte der selbst einen Schatten.« Oliver klappte das Buch zu und legte es mit einer unwirschen Bewegung auf den Tisch.
Franca nahm es zur Hand, betrachtete kurz den rotbraunen Einband mit der goldgeprägten Schrift, bevor sie es aufschlug.
» ›Werde, der du bist‹ «, rezitierte sie, während sie darin blätterte. – » ›Erkenne dich selbst‹ – › Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.‹ – Gegen solche Sprüche ist ja eigentlich nichts zu sagen. Aber wirklich weiter hilft uns das nicht.« Sie seufzte. So sehr hatte sie darauf gehofft, bei der Durchsuchung von Marios Zimmer auf brauchbare Hinweise zu stoßen. Ein Tagebuch oder zumindest ein Notizbuch. Irgendeinen Anhaltspunkt, und sei er noch so winzig. Doch in diesem Büchlein waren lediglich Zitate zu finden. Kein persönliches Wort. Keine Namen. Keine Adresse.
»Du meinst, die Sprüche klingen ganz vernünftig im Gegensatz zu dieser Bumm-Bumm-Musik und dem anderen unappetitlichen Kram, den wir bei ihm gefunden haben?«, fragte Oliver.
»Wir sollten nicht vergessen, wie alt Mario war. Beziehungsweise wie jung«, gab Marie zu bedenken. »Heavy Metal ist bei vielen Jugendlichen beliebt. Und er ist nicht der Einzige, der sich von Killerspielen und Horrorvideos den besonderen Kick erhofft. Dumm war Mario jedenfalls nicht. Er scheint sich mit vielen unterschiedlichen Dingen beschäftigt zu haben. Wenn er auch nur einen Teil der Bücher gelesen hat, die in seinem Regal stehen, dann alle Achtung.«
»Nennst du so einen Kram wie die ›Satanische Bibel‹ etwa intelligent?«, fragte Oliver provozierend.
Marie hob die Schultern. »Das Buch handelt von der Nachtseite der menschlichen Existenz. Ein Thema, das auch in Goethes ›Faust‹ eine Rolle spielt. Immerhin stand Khalil Gibrans ›Der Prophet‹ daneben, also das krasse Gegenteil der ›Satanischen Bibel‹.«
»Wer ist Khalil Gibran?«, fragte Hinterhuber. »Muss man den kennen?«
»Ein libanesischer Dichter und Denker«, erwiderte Marie und strich sich eine dunkle Strähne hinters Ohr. »Gibran hat sehr poetische philosophische Texte geschrieben, spirituelle Lebensweisheiten über Liebe und Schmerz, über Schuld und Sühne, eben über alles, was den Menschen bewegt. Die Art und Weise, wie er schreibt, hat mich sehr berührt.«
Oliver verrollte die Augen und sah zur Decke.
»Ich habe ›Der Prophet‹ auch gelesen«, Franca nickte Marie lächelnd zu. »Und ich kann mich ebenfalls mit vielen seiner Thesen identifizieren. ›Von den Kindern‹ hat mir besonders gefallen.«
»Und was sagt uns das jetzt alles?«, fragte Oliver genervt.
»Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.« Das war Hinterhuber. Alle lachten.
Maries Handy klingelte. Sie stand auf, entschuldigte sich bei den Anwesenden und ging hinaus.
»Wie wär’s, wenn wir die Sache mit den Mädchen mal näher unter die Lupe nehmen?«, schlug Oliver vor. »Annette, Julia, Simone, Davina – ich muss sagen, der Junge hatte einen ordentlichen Verschleiß.« Die unverhohlene Bewunderung, die Oliver dieser Tatsache zusprach, war herauszuhören. »Wie es aussieht, lief vieles parallel. Insofern wäre doch ein Eifersuchtsdrama nicht auszuschließen«, meinte er.
Marie kam ins Besprechungszimmer zurück und setzte sich wieder auf ihren Platz.
»Traust du so was wirklich einem jungen Mädchen zu?«, fragte Hinterhuber zweifelnd.
»Mädchen haben inzwischen stark aufgeholt, was Gewaltdelikte betrifft. Die Hemmschwelle ist allgemein gesunken, das ist nicht nur bei den Jungs zu beobachten«, wandte Marie ein.
»Aber neunundzwanzig Messerstiche? Und dann mit solcher Wucht.«
»Lilly hättest du das
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