Gartenschläfer: Der zweite Fall für Franca Mazzari (German Edition)
»Was glaubst du denn, wer da unten liegt?«, fragte sie leise.
»Meine Mutter jedenfalls nicht.« Davina holte keuchend Luft. »Ich weiß genau, dass sie lebt. Sie hatte ihre Gründe, weshalb sie so lange weg war. Aber sie hat sich auf den Weg gemacht und kommt bald zu mir.« Für einen Moment huschte ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. »Da können Sie noch so viele Lügen verbreiten. Sie werden es schon sehen. Und jetzt will ich allein sein.« Ihr Gesicht war wieder zur Maske erstarrt.
»Es gibt einig es, worüber wir uns unterhalten müssen«, sagte Franca.
»Und wenn ich nicht will?« Nun war ihr Ton spöttisch. »Wollen Sie dann alles aus mir herausprügeln, ja?«
Franca versuchte, ruhig zu bleiben. »Willst du denn nicht auch verstehen , was damals passiert ist?«, fragte sie leise. »Damals, als du alles verloren hast, was dir wichtig war.«
Das Mädchen hob die Lider ein wenig an und durchstach Franca mit ihrem Blick. Dieser Blick enthielt so viel. Angst. Trauer. Verlassenheit. Aber auch Trotz. Und Aggressivität. Schließlich schlug Davina die Augen nieder, als ob sie ihren verräterischen Blick verhüllen wollte.
»Warum gehen Sie nicht weg?«, stieß sie hervor und krampfte ihre Hände ineinander. »W arum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe?«
16
Das Faxgerät ratterte. Hinterhuber stand auf und nahm die Blätter heraus. Studierte sie eingehend.
»Es gibt keinen Zweifel«, sagte er. »Die Leiche ist eindeutig die von Patricia Kayner. Der Tod ist vor circa zehn Jahren eingetreten. Es wurden Verletzungen am Schädel mit einem harten, spitzen Gegenstand festgestellt.«
»Der Schürhaken.« Franca nickte. »Es ist genau so, wie Frau Kayner sagte. Ein Familiendrama.«
Marie Kirschbaum betrat das Büro. Sie sah blass aus und wirkte müde. Und dennoch auf gewisse Weise lebhaft. Franca war dieser scheinbare Widerspruch schon öfter aufgefallen. Vielleicht lag es daran, wie sie sich bewegte und sich stets mit einer fast koketten Geste eine dunkle Strähne hinters Ohr schob, die dort partout nicht bleiben wollte.
Franca sah Marie erwartungsvoll an. Diese hatte Davinas Befragung übernommen, nachdem das Mädchen sich standhaft geweigert hatte, mit Franca oder Hinterhuber zu sprechen.
»Und? Gibt’s was Neues?«
»Hast du einen Kaffee für mich?«, fragte Marie. »Extra stark, wenn’s geht.«
»Sicher.« Franca stand auf und setzte die Espressomaschine in Gang, die sogleich ein angenehmes Aroma verströmte. Eine der beiden gefüllten Tassen reichte sie Marie. »Nun schieß mal los.«
Marie holte tief Luft. »Wir mussten Davina in die Psychiatrie bringen«, sagte sie, während sie Zucker in ihre Tasse rührte. »Sie ist durchgedreht. Irgendwo beim Versuch, die Zeit zurückzuholen, ist sie stecken geblieben. Sie will einfach nicht wahrhaben, dass ihre Mutter tot ist. Sie ist der festen Meinung, sie habe vor Kurzem noch mit ihr gesprochen.«
»Patricia Kayner liegt seit zehn Jahren unter der Erde. Da gibt’s gar kein Vertun. Gerade haben wir die Bestätigung von der Rechtsmedizin bekommen«, sagte Franca.
»Als ob ich das nicht wüsste.« Marie schluckte. »Ich habe fast die ganze Nacht mit ihr geredet. Und da ist mir einiges klar geworden. Obwohl …«
»Du hast die ganze Nacht mit ihr gesprochen? Alle Achtung. Die muss dir ja sehr viel Vertrauen entgegengebracht haben. Wie hast du das denn hingekriegt?«
»Ich bi n nicht umsonst Jugendsachbearbeiterin«, sagte Marie mit etwas schärferer Stimme. Dann sah sie von Franca zu Hinterhuber und wieder zurück. »Ich kann mir jetzt auch vorstellen, wer Mario Reschkamp umgebracht hat«, sagte sie.
»Was?«, riefen Franca und Hinterhuber unisono. »Wer?«
»Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber … Also, sicher ist, dass Davina mit Mario zusammen an diesem Nachmittag im Schlossgarten war. Was dort genau passiert ist, daran kann sie sich angeblich nicht mehr erinnern.« Marie hob ihre Tasse und trank einen Schluck.
»Du meinst, sie war es?« Franca runzelte die Stirn. »Davina hat Mario erstochen?« Wie in aneinandergereihten Filmsequenzen sah sie Marios Leichnam mit den zahlreichen Einstichen vor sich. Erst im Schlossgarten, dann auf dem Sezie rtisch. Dann sah sie das Mädchen. Schmal, blass, mit irritierend hellen Augen und dem schwarzen, fransig ins Gesicht fallenden Haar. Sie versuchte, sich in die seelische Verfassung von Davina
hineinzudenken.
»War es also doch ein Eifersuchtsdrama, wie wir von Anfang an vermutet hatten?«,
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