G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
verwandelt. Eine hungrige Wesenheit, ausgehungert nach Sinn und narrativer Struktur, die Maxwell und seine Vergangenheit als einen potentiellen Happen betrachtete.
Der Computermonitor pulsierte; die Wände des Büros schienen sich aufzulösen, und Maxwell wähnte sich wieder auf dem Gelände der Ölraffinerie im nigerianischen Port Harcourt. Er stand auf seinen eigenen zwei Beinen, heil und unversehrt, ein Wunder, das ihn eher mit Grauen als mit Freude erfüllte. Er wollte losrennen und sich verstecken, aber sein Panzer und seine Kameraden waren verschwunden, und als er zum Tor der Raffinerie hinausschaute, sah er, daß ihn sogar die Gespenster verlassen hatten: zwischen den Stapeln von rostigen Fässern, die die Zufahrtsstraße säumten, regte sich nichts mehr.
Er war völlig allein. Afrika war vom Südrand der Sahara bis zur Kalahari entvölkert, seine Menschen wegamputiert, seine Geschichte ohne Vorwarnung, ohne auch nur eine widersinnige Erklärung, mitten im Satz abgeschnitten worden. Die unbegreifliche Leere des Landes drang von allen Seiten auf Maxwell ein.
Noch etwas anderes drang auf ihn ein: eine Frage, fordernd, sich in sein Flinterhirn bohrend, nach einer Antwort heischend.
»Ich weiß nicht«, flüsterte Maxwell. »Ich weiß nicht, warum sie verschwunden sind. Keiner weiß es.«
Aus dem Druck wurde Schmerz und größerer Schmerz... Gelähmt, versuchte Maxwell hilflos, die Arme zu heben und seinen Kopf zu schützen.
»Ich weiß nicht, warum! Ich weiß nicht, warum! Die haben's mir nicht gesagt! Keiner wollte's mir sagen!«
Das Auge durchdrang seine Qual wie ein Mikroskop und sah, daß er die Wahrheit sprach. Aber die Wahrheit, die Maxwell wußte, war nicht gut genug; die lebendige Geschichte würde auf einer Antwort bestehen.
Die Vergangenheit trat zurück. Wieder in Joan Fines Büro, schaltete sich das Modem abermals ein und wählte, öffnete eine Tür in die Gegenwart, in eine Welt unerforschter Daten. Der Computermonitor flackerte weiter; das Auge dehnte sich aus, bis es den ganzen Bildschirm ausfüllte. Der ganze Raum versank in grünem Licht, und mit ihm Maxwell. Und all sein bisheriger Wahnsinn war nichts, verglichen mit dem, was folgte, als das Auge von Afrika anfing, zu ihm zu sprechen.
Das ist ein Test
Als Clayton Bryce heimkam, lagen die Neger auf der Lauer.
Vom Abendessen irgendwie aufgegeilt, war er in Downtown geblieben und hatte eine Reihe von ausgesucht coolen Nachtklubs abgeklappert, von der Art, wie sie die minimalistische Prosa des späten zwanzigsten Jahrhunderts verewigt hatte; »Studio Ennui«, »Sangfroid Café«, »Depresso Bar«, »The Lost Generation«. Eben in letztgenanntem Klub (dessen Miteigentümer der gefeierte Katastrophenchronist Tad Winston Peller war) landete Clayton bei einer hochgewachsenen milchhäutigen Schönheit in violettem Samt, die wortlos auf ihn zuglitt und ihm ein mit einer klaren Flüssigkeit gefülltes Tropffläschchen anbot. Clayton legte den Kopf in den Nacken und drückte sich je einen Tropfen in jedes Auge. Die Droge hieß Banker's Holiday, und sie vereinigte die Lightshow eines leichten Psychedelikums mit der Exaltiertheit von Koks und dem Kurzzeitgedächtnisverlust von wirklich gutem Shit; und das Beste war, ihre Wirkung ging rasch vorüber, und die Landung war butterweich, so daß man mit einer absoluten Unbekannten (an deren Namen man sich - und die sich selbst an einen - hinterher nicht mehr erinnern würde, was eine vollkommene beiderseitige Anonymität garantierte) eine Stunde hemmungsloser Intimität verbringen und rechtzeitig wieder in die Wirklichkeit zurückschalten konnte, um noch zeitig ins Bett zu kommen, und das alles ohne einen dicken Kopf oder einen unerwünschten Gast, der einem den nächsten Morgen vergällt hätte. Clayton und seine namenlose Partnerin tanzten; sie lachten; sie artikulierten Silben; sie küßten sich; sie ko-pusimulierten trocken unter einer rotierenden Glitzerkugel; und schon um halb eins saß Clayton hübsch allein in einem Taxi Richtung Uptown, die Augen feucht, die Seele geläutert. Schöner konnte das Leben nicht sein.
Clayton wohnte in einem Apartmenthaus in Washington Heights, nördlich von Harlem. Schwarzenmäßig schon seit langem entvölkert, hatte sich Harlem langsam wieder mit Latinos, Arabern und Indern aufgefüllt. Zu Claytons nicht geringer Erleichterung begannen der Bau des New Babel und der damit einhergehende Anstieg der Mieten bereits, ein gut Teil von ihnen wieder zu vertreiben.
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