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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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und sahen uns jahrlang nicht wieder. Wir trafen uns 03 bei einem Ehemali-gen-Picknick wieder, unmittelbar bevor ich mich einschiffte, und ... na ja, du kannst dir ja vorstellen, was passiert ist. Pennsylvania war damals ein roter Staat, ein sehr roter - die hatten seinerzeit gerade das Gesetz verabschiedet, nach dem es strafbar sein sollte, den Staat zwecks Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs zu verlassen, und es war ein Streit darüber im Gange, ob das mit der Verfassung zu vereinbaren sei. In zwei Wochen hätte das Oberste Bundesgericht seine Entscheidung verkündet, und wie es aussah, stand es fünfzig zu fünfzig; da dachte Flora, ihr blieben nur ein paar Tage Zeit, sich zu entscheiden, und das ohne irgendeine Möglichkeit, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Also schrieb sie mir als Ersatz für die Diskussion, die wir nicht führen konnten, einen Brief.«
    Der Brief war an Philos alte Philadelphiaer Adresse geschickt worden; er gelangte schließlich nach Boston, machte dann eine Rundreise über Porto Alegre, Abidjan, Gibraltar und Calais und holte Philo zu guter Letzt auf den Färöern ein. Inzwischen war der ursprüngliche Poststempel zehn Monate alt, und seit dem schicksalhaften Picknick war fast ein ganzes Jahr verstrichen. So saß Philo in Torshavn auf einer Bank vor dem Nordischen Haus, las das halbe Dutzend engbeschriebener Seiten, führte im Kopf rasch ein paar Subtraktionen durch und gelangte zu dem Ergebnis, daß er schon seit Mai oder spätestens Anfang Juni Papa war... es sei denn, Flora hatte sich, nachdem sie den Umschlag zugeklebt hatte, noch einmal umentschieden.
    Als der Versuch, Philadelphia vom Torshavner Postamt aus telefonisch zu erreichen, scheiterte, trieb Philo die Regenbogenkrieger zusammen und überredete sie, sofort in See zu stechen und Kurs auf die Ostküste zu nehmen. Es war eine schwierige Uberfahrt; rauhe See und starke Gegenwinde verfolgten sie bis fast nach Neufundland, wodurch sie nur langsam vorankamen, und auf halbem Weg durch den Atlantik ergoß sich ein vom Sturm umgeworfener Becher Kräutertee ins Kurzwellenradio und verursachte darin einen Kurzen. Taub für alle Nachrichten von der Epidemie, die auf dem Festland ausgebrochen war, segelten die Krieger unbeirrt weiter, machten um Boston einen Bogen und ankerten in der Delawarebucht. Philo packte einen Matchsack, fuhr in einem Zodiak allein den Delaware River hinauf und erreichte Penn's Landing kurz nach Einbruch der Dunkelheit.
    Wie in New York, hatte es in Philadelphia in einigen von der Seuche betroffenen Vierteln kurzlebige Unruhen gegeben, und so war in der Stadt eine Ausgangssperre verhängt worden; aber alles, was Philo wußte, war, daß er kein Taxi finden konnte. Als die Münztelefone am Hafen sein färöisches Kleingeld zurückwiesen, beschloß er, die drei Kilometer bis zu Floras Apartmentkomplex zu laufen. Glück und Ahnungslosigkeit steuerten ihn mit vereinten Kräften an Polizeistreifen und Kontrollposten der Nationalgarde vorbei.
    Als er bei Floras Haus ankam, war der Strom abgestellt. Allmählich über die völlig menschenleeren Straßen beunruhigt - so spät in der Nacht war es ja noch gar nicht -, hämmerte er mit den Fäusten gegen die Eingangstür. Niemand kam, ihm aufzumachen, aber das Schloß gab bald seinem Gehämmer nach. Er rannte die vier Stockwerke hoch, ohne auf der Treppe einer einzigen Menschenseele zu begegnen.
    Die Tür zu Floras Apartment stand einen Spaltbreit auf. Philo fand seine Tochter auf einem Sessel neben einem offenen Fenster liegend, lose in den Bademantel ihrer Mutter gewickelt. Für ein halbverhungertes und -verdurstetes Baby sah sie bemerkenswert zufrieden aus: Sie lächelte Philo an und schloß ihr Fäustchen um seinen Finger, dann wartete sie geduldig, während er den Rest der Wohnung durchsuchte. Flora war nirgends zu finden. Gegen die Panik ankämpfend, trug Philo die Kleine in die Küche und trieb eine Flasche, etwas Milch und eine frische Windel auf; er fütterte sie, badete sie in der Spüle und wickelte sie neu. Dann ging er zum Telefon - das in der Küche funktionierte noch - und wählte die gn. Er bekam zweimal hintereinander das Besetztzeichen und wollte es gerade noch einmal versuchen, als draußen ein Streifenwagen mit blitzendem Blinklicht vorbeischoß.
    Und damit begann der wirkliche Alptraum: Philo öffnete ein Fenster und schrie auf die Straße hinunter um Hilfe. Der Polizeischlitten bremste und erbrach vier Bullen mit Schrotflinten. Die Bullen sahen

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