G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
keinen verwirrten Vater, der für sein Kind um Hilfe rief; sie sahen einen großen schreienden Schwarzen mit einem bombenförmigen Bündel in den Armen. Sie leerten die Magazine ihrer Schrotflinten auf ihn. Als er vom Fenster verschwand und Deckung nahm, gingen sie zu Tränengas über und schafften es in kürzester Zeit, das Haus in Brand zu stecken. Das Baby an die Brust gedrückt, entkam Philo durch den Hinterausgang des Apartmenthauses; die Polizei funkte den für das Viertel zuständigen Kommandoposten der Nationalgarde an und warnte vor einem wahnsinnigen Bombenwerfer.
Der Rückmarsch zum Hafen nahm fast den ganzen Rest der Nacht in Anspruch. Straßen, die vorher verlassen ausgesehen hatten, wimmelten jetzt von bewaffneten Männern und Frauen, von denen Philo annehmen mußte, daß sie ohne Vorwarnung schießen würden. Irgendwann, während er auf einem Parkplatz zwischen den Autos kauerte, um sich vor einem patrouillierenden Helikopter zu verstecken, sah er zufällig ein Fatzke-Nummernschild, dessen Buchstabenkombination Seraphina lautete, und er flüsterte den Namen im Singsang vor sich hin, um seine Tochter zu beruhigen. Es gefiel ihr.
Das Glück war ihnen hold. Als der Morgen graute, hatte Philo wieder den Zodiak erreicht; Seraphina schlief gemütlich in einer Kiste mit Uberlebensausrüstung, während ihr Vater zusah, daß sie beide so schnell wie möglich vom Ufer wegkamen. Sie machten nur einen Zwischenstopp - einen Abstecher in den Bootshafen des Franklin Seaman's Club, um von einer unbewachten Jacht Sprit abzusaugen -, aber danach nahm Philo erst wieder Gas weg, als Philadelphia weit hinter ihnen lag. Er steuerte stromaufwärts, auf Trenton zu; mit Kurs auf das offene Meer hätte er sich sicherer gefühlt, aber er wußte, daß die Regenbogenkrieger mittlerweile die Delawarebucht verlassen haben würden, und sein momentan vorrangigstes Ziel war, einen Zeitungskiosk'aufzutreiben, der nicht von Truppen umstellt war, um endlich zu erfahren, was eigentlich los war. Daß das Chaos, dem sie gerade entronnen waren, auch in anderen Städten herrschen könnte, kam ihm nicht in den Sinn, ebensowenig hätte er sich vorstellen können, daß er und seine Tochter sich gerade auf der allerersten Etappe einer langen Reise ins Exil befanden. Er wußte nur eins: daß er am Leben war und es auch zu bleiben gedachte - und daß er, außer Flora meldete sich noch mal, so bald nicht wieder in die Stadt der brüderlichen Liebe zurückkehren würde.
»Das ist doch eigentlich einsichtig«, sagte Philo jetzt. Nachdem er die Inspektion des Bootsrumpfes abgeschlossen hatte, lehnte er sich mit seinem ganzen Gewicht auf Betsy Ross' Fronthaube; Lexa lehnte sich an ihn und schlang wieder seine Arme wie einen Sicherheitsgurt um sich. »Daß ich die Seuche und ihre Auswirkungen überlebt habe, meine ich - das ergibt einen Sinn. Wenn ich mein Leben lang je was gewesen bin, dann ein Außenseiter. Schwarzer Amischer, wer hat schon mal von so was gehört? Und dann, als ich nach Philly gezogen bin und meine Adjektive umgemischt hab: Amischer Afroamerikaner - A hoch drei, sagte Flora immer dazu -, wer hat je von so was schon gehört?« Er stützte sein Kinn auf Lexas Schulter und starrte auf die »Yabba-Dabba-Doo«. »Glaubst du, daß das irgendwie zählen könnte, falls es zum Schlimmsten kommt?«
»Wie meinst du das?«
»Na ja, was du vorhin gesagt hast: Die meisten Leute würden sagen, diese Mission zur Rettung der Lemuren sei Schwachsinn. Die meisten würdens gar nicht erst versuchen. Und vielleicht würden die meisten von denen, die es versuchten, gar nicht überleben, geschweige denn es schaffen ...«
»... aber du bist nicht die meisten«, sagte Lexa, die jetzt den Gedankengang verstanden hatte. »Genaugenommen bist du weniger die meisten als fast jeder andere sonst auf der Welt. Deswegen stehen die Chancen für dich sogar ziemlich gut.«
»Genau.«
»Ich bin mir nicht so sicher, daß es so funktioniert«, sagte Lexa. »Ich wäre an deiner Stelle trotzdem sehr, sehr vorsichtig.«
»Keine Angst«, sagte Philo.
»Liier«, sagte Lexa. Sie wühlte in ihrer Handtasche und hielt ihm einen alten Silberdollar hin, den fünf Generationen von Fingern auf beiden Seiten fast völlig glatt gerieben hatten.
»Als Glücksbringer?«
»Sagen wir, als zusätzlicher Anreiz, vorsichtig zu sein«, erwiderte Lexa. »Er bedeutet mir sehr viel. Sollte er auf dem Grund des Hudson Canyon enden, von wo ich ihn nicht wieder zurückholen kann, dann wäre
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