G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
warm-fleischige Blubberschicht durchbohrte und barst und dabei glühende, grausam scharfe Stahlsplitter in sein großes lebensblutpumpendes Herz trieb.«
Zu viele Adjektive. Oder, wie ein kluges Textverarbeitungsprogramm ihm einmal erklärt hatte: »Nicht jedes Substantiv erfordert eine nähere Bestimmung.« Philo sah das zwar prinzipiell ein, aber sooft er auch versucht hatte, eine straffere Prosa zu schreiben, war ihm das Ergebnis irgendwie nackt, unfertig erschienen. Was sein Unbehagen noch weiter vertiefte, war die an ihm nagende Ahnung, daß seine Unfähigkeit, es mit dem Genügenden genug sein zu lassen, seiner Öko-Ethik aufs schärfste widersprach. Außerstande, seine Schriftstellerei zu reformieren, und nicht willens, sie aufzugeben, vertraute er seinen Roman, als wären es seine geheimen Memoiren, den Seiten eines Tagebuchs an und hielt dieses in einem Safe unter Verschluß.
Während er an diesem Morgen schrieb (wobei er einen nachfüllbaren Kuli verwendete, seine Low-Tech-Reaktion auf das traumatisierende Computererlebnis), konnte er über und um sich das Getrippel kleiner Nagerfüßchen hören. Die Schotten und Decks des U-Boots waren von einem Netz von Rohren aus unzerbrechlichem Plastik durchzogen, in dem mehrere hundert Blauhamster lebten, eine exotische Rasse, die im New Yorker Pets-R-Us fünfundneunzig Dollar und mehr pro Stück eingebracht hätte. Philo hielt sie nicht wegen ihres Wiederverkaufswerts; sie gefielen ihm einfach, und ganz besonders gefiel ihm die Vitalität und Energie, die sie ausstrahlten, wenn sie so von einem zum anderen Ende des U-Boots wuselten. Rechnete man noch die zehn Luchsjungen hinzu, die gleichfalls Dauergäste an Bord waren, mußte man zugeben, daß die »Yabba-Dabba-Doo« ein wahrhaft lebenspralles Gefährt war.
Wie er da über seinen Schreibtisch gebeugt saß, hätte Philo mit seinem Körpervolumen und seinem buschigen Bart ohne weiteres für einen Weihnachtsmann mittleren Alters durchgehen können, der seine berühmte Liste durchsah - allerdings nur in einer revisionistischen Version des Märchens, Darüber, ob er wirklich der dunkelsthäutige Überlebende der Pandemie von 2004. war, konnte man vielleicht unterschiedlicher Meinung sein, aber er war ohne jeden Zweifel das dunkelsthäutige Kind, das je bei den Amischen aufgewachsen ist. Ein pennsylvaniadeutscher Farmer namens Gunther Lapp hatte den schreienden Säugling -einen Wechselbalg von der Farbe guter Erde, mit Augen, so grün wie eine Landschaft nach einem Regen - verlassen in einem Weizenfeld gefunden. Gunther, ein herzensguter Mann mit einer grenzenlosen Liebe zu Kindern, insbesondere Waisenkindern, faßte sofort eine tiefe Zuneigung zu dem seltsamen Baby, auch wenn der Bischof ein wenig verwundert auf seinen Adoptionsantrag reagierte. Ein Zettel mit dem Namen »Philo« war an der Decke befestigt gewesen, in der man Philo eingewickelt gefunden hatte; »Dufresne« war der Nachname des einzigen anderen Schwarzen, den Gunther je kennengelernt hatte, eines Zensusbeamten, der 1970 durch das Dorf gekommen war.
Jung-Philo und die Amischengemeinde waren, um es freundlich auszudrücken, ein etwas ungleiches Paar. Unmittelbar nach Gunther Lapps Tod fuhr der damals achtzehnjährige Philo 1994 nach Philadelphia und wurde dort von einer Informatikstudentin der University of Pennsylvania körperlich und technologisch verführt. Als bekanntwurde, daß er nicht wieder zurückkehren würde, atmeten zu Hause insgeheim nicht wenige auf. Denn wer außer dem Teufel konnte schließlich ein Negerbaby in einem mennonitischen Weizenfeld ausgesetzt haben?
Anfang der nuller Jahre war er in ökoaktivistische Kreise geraten, wohin ihn ehrliche Sorge um den Planeten, aber auch - was diesen Punkt anging, bemühte er sich stets um Aufrichtigkeit -gewisse asoziale Neigungen getrieben hatten, die dringend eines Ventils bedurften. Philo war von Gunther Lapp im Geiste des Pazifismus erzogen worden, und der Gedanke, Leben zu zerstören, würde ihm immer ein Greuel sein, aber als er erst einmal eine Weile in der Welt gelebt hatte, entdeckte er, daß er gegen schwere mutwillige Sachbeschädigung keinerlei entsprechende Bedenken hatte. Wie er im Rahmen seiner Arbeit für Earth First! und der Ned Ludd Society feststellte, gab es nichts, was so zutiefst befriedigend gewesen wäre wie ethisch gerechtfertigter Vandalismus.
Auf der Flucht vor der Pandemie verbrachte Philo die nächsten Jahre buchstäblich als Wanderer in der Wüste, bis er einen
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