G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke
bestellte beim »Birth Control Teleshopping Network« (porto-und verpackungsfrei) Nachschub und warf - für den Fall des Falles - einen Blick in USA Today, um anhand des »Abtreibungsgesetz-Totalisators« hinsichtlich der momentan jeweils gültigen einzelstaatlichen Regelungen auf dem laufenden zu bleiben. Der »Totalisator« (eigentlich eine Landkarte der USA und aus unerfindlichen Gründen im Sportteil der Zeitung abgedruckt) zeigte »offene« Staaten in Blau, »geschlossene« Staaten in Rot und »Ordnungswidrigkeits«-Staaten in Rosa. Oregon, wo Schwangerschaftsabbrüche montags, mittwochs und freitags staatlich finanziert und dienstags, donnerstags und an Wochenenden mit einer gesalzenen Geldbuße geahndet wurden (die Legislative in Salem hatte durch diese Regelung versucht, einen satirischen Hinweis auf das Fehlen eines nationalen Standards zu geben, und es lediglich geschafft, bei allen anzuecken), war auf der Landkarte kanariengelb dargestellt.
Es geschah während dieser Periode, im Frühling 2001, daß Joan Fine aufgefordert wurde, das St. Jude's College in Philadelphia, wo sie gerade ihr erstes Studienjahr abgeschlossen hatte, zu verlassen. Die feministischen Aktionen ihrer Mutter strapazierten die diversen Heiligen Väter mehr und mehr, aber da Schwester Ellen Fine wegen Austragens eines Retortenbabys in einem Kloster sowie wegen der (mittels einer geweihten Sahnespritze vorgenommenen) künstlichen Besamung zweier Mitschwestern bereits exkommuniziert worden war, gab es -abgesehen vom Steinigen - nichts mehr, was der Vatikan ihr hätte direkt antun können; also besann man sich auf die gute alte biblische Tradition und ließ die Tochter für die Untat der Mutter büßen. Joan hätte gegen den - nie offiziell als solchen bezeichneten - Hinauswurf Widerspruch einlegen können, aber da sie sich dachte, daß es andernorts interessantere Kämpfe auszufechten geben würde, packte sie ihre Seminarscheine zusammen, sagte Pennsylvania (einem roten Staat, nach der geographischen Einteilung von USA Today) Lebewohl und nahm einen Greyhound-Bus ins böse liberale Herz New Englands (wo das Farbschema gleichmäßig zwischen Blau und Rosa aufgeteilt war). Eine rekonvaleszente Exnonne arrangierte im Studentensekretariat von Harvard einen freundlichen Computerfehler, der Joan für das Wintersemester ein Stipendium der Öffentlichen Dienste verschaffte: Joan arbeitete an zwei Abenden die Woche unentgeltlich in einem Bostoner Obdachlosenasyl, und der Staat übernahm dafür einen Teil ihrer Studiengebühren.
Öffentliche Dienste, Dienst an der Öffentlichkeit. Joan war weder fähig noch willens, sich ihrer Mutter bei dem leidenschaftlichen Versuch anzuschließen, die Kirche zu reformieren - ihre persönliche Reaktion auf den verknöcherten Starrsinn des Papstes hatte darin bestanden, den Heiligen Vater bereits im zwanzigsten Jahrhundert (wo er auch hingehörte) sitzenzulassen, und zwar ebensoleicht und mit ebensowenig Bedauern wie sie St. Jude's verlassen hatte -, aber in Harvard entdeckte sie einen neuen Weg, der Fineschen Familientradition treu zu bleiben. Der liberale Aktivismus und die römisch-katholische Theologie, fand Joan, unterschieden sich wirklich nicht allzusehr voneinander. Beide setzten auf einen idealischen Heilszustand, der eine in dieser, die andere in der anderen Welt; beide erkannten die Wichtigkeit persönlicher Anstrengungen und guter Werke an; und beide hatten ihre Dogmen. Die liberale Empfindlichkeit gegen jede Form von Unterdrückung hatte zur Herausbildung einer strengen Etikette rechten Redens und Denkens geführt, die durchaus den Kategorien theologischer Argumentation entsprachen: Meinungen und Äußerungen, die für rassistisch, sexistisch oder homophobisch erachtet wurden, erhielten das Brandmal »philosophisch unhaltbar« oder »politisch unkorrekt« (p. u.). Sie wurden, mit anderen Worten, als häretisch verurteilt.
»Oh, nein nein nein, das ist ganz und gar nicht so«, sagte Penny Dellaporta, Joans Wohnungs- und Gesinnungsgenossin, aber Joan fand, daß es doch so sei, und im übrigen hatte sie den Vergleich keineswegs abwertend gemeint. Hier war ein Glaube, für den sie sich begeistern konnte, mehr hatte sie damit gar nicht sagen wollen. Nach ein paar Bier und einer Zigarette konnte sie sich sogar etwas wie einen linksprogressiven Gott vorstellen, eine geschlechtsneutrale, rassenunspezifische Gottheit, die Sojasprossen aß, nichttoxische Ausscheidungen schiß und sich für die Aufnahme des
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