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G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke

Titel: G.A.S. - Die Trilogie der Stadtwerke Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Ruff
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Rechts auf Abtreibung in die Liste der verfassungsmäßig garantierten Grundrechte stark machte. Jetzt, wo sie sich zum erstenmal in ihrem Leben für eine »Sache« einsetzte, konnte Joan endlich die Leidenschaftlichkeit ihrer Mutter - wenigstens teilweise - nachvollziehen; aber da ihre Mutter darüber hinaus eine Außenseiterin in ihrer eigenen Religion war, würde Joans Herz immer für die Häretiker schlagen, die Waldenser und Albigenser der liberalen Szene, die sich Konventionen im eigenen Lager ebenso widersetzten wie denen des Establishments und die nie ihren Sinn für Humor verloren. Was hülfe es ihr schließlich, wenn sie die ganze Welt errettete und nähme doch Schaden an ihrer Fähigkeit zu lachen - vor allem über die eigenen Prätentionen?
    Es war diese grundsätzliche Vernünftigkeit, die sie mit Lexa Thatcher zusammenbrachte.
    »Sie ist eine Pornographin«, sagte Penny Deilaporta zu Joan, während sie, erschöpft und mit brennenden Augen, von einer Mitternachts-Revival-Vörführung von Warren Beattys Reds nach Haus zurückkehrten. »Keine Feministin, die für eine frauenspezifische Erotik eintritt - gibt nicht mal vor, diesen Anspruch zu haben -, schlicht eine Hausiererin in Schmutz und Schund. Letztes Frühjahr hat sie mit ein paar anderen ein Studenten-Por-noblättchen voll S/M-Bildern rausgebracht, lauter Frauen und Männer, die in Leder und Handschellen rumliefen, und da war so eine Nahaufnahme von einem Penis mit einem Schlangen- Tattoo. Eine dicke tätowierte Schlange, die sich sechsmal um den Penis herumschlang, und die Zunge der Schlange war die... Gott, es ist mir peinlich, darüber zu reden!«
    »Klingt so, als hättest du dir diese Schlange ziemlich genau angeschaut«, sagte Joan.
    »Mußte ich doch, um das ganze Ausmaß der Entwürdigung und Ausbeutung beurteilen zu können. Jetzt heißt es, die Thatcher sammelt Geld, um ihren eigenen Pornofilm zu produzieren. Von nicht zu überbietender p.U.heit.«
    »Noch mehr Penisse?«
    »In Farbe«, flüsterte Penny. »Und sie bewegen sich.«
    »Hmmm...«
    Ein paar Tage später stand Joan in aller Frühe auf und zog zu einer kombinierten Jogging-und-Plakatier-Aktion los. Sie war gerade stehengeblieben, um an die Seitenwand der Thayer Hall ein Poster der Amerikanischen Bürgerrechtsvereinigung mit Sekundenkleber zu befestigen, als sie hörte, wie über ihr ein Fenster aufgeschoben wurde. Aus dem zweiten Stock entrollte sich eine Nylon-Strickleiter, und eine in einen samtenen Kapuzenumhang vermummte Gestalt schwang sich über den Sims. Aus dem Inneren des Wohnheims lehnte sich eine sommersprossige Blondine - eine patriotische Bostonerin, nach dem auf ihrer linken Brust eintätowierten Kirchturm der Old North Ghurch zu urteilen - zu einem Abschiedskuß heraus. Die vermummte Gestalt überreichte ihr eine rote Rose, winkte und kletterte rasch auf die Erde hinunter - keine anderthalb Meter von der Stelle entfernt, wo Joan stand.
    »Halli, hallo«, sagte Lexa Thatcher und streifte die Kapuze von ihrem Gesicht zurück, während ihre Geliebte die Strickleiter wieder einholte. »Auf frühmorgendlicher Sachbeschädigungstour?«
    Joan wußte nicht so recht, was sie darauf hätte antworten sollen, also sagte sie: »Du bist die Pornographin.«
    »Stimmt«, sagte Lexa, »und du bist die Katholin, die raucht. Eine Freundin von mir im Verbraucherschutzverein hat neulich über deine p.u. Einstellung gegenüber dem Tabakgenuß gehetzt, und da hab ich mir gedacht, daß wir uns früher oder später über den Weg laufen würden. Joan Fine, stimmt's?«
    Joan nickte. Ohne es zu wollen, warf sie einen Blick zum Fenster hinauf, aus dem Lexa gerade gestiegen war.
    »Das war Ellen«, klärte Lexa sie auf. »Ellen Leeuwenhoek alias Kinky La Bia. Meine Fotografin und Kamerafrau.«
    »Oh.«
    »Oh«, äffte Lexa sie nach, aber völlig ungehässig. »Hör mal, was hieltest du von frühstücken gehen?«
    Im »Wursthaus« am Harvard Square servierte ihnen ein krausköpfiger tunesischer Austauschstudent Steaks und Eier; außerdem frisch aufgebrühten nicaraguanischen Kaffee - die philosophisch haltbare Sorte, die von exsandinistischen Pflückern geerntet wurde. Im Rahmen der Neuen Promiskuität war auch das Rauchen in öffentlichen Gebäuden vorübergehend wieder legalisiert worden, also zündete sich Joan, während Lexa genügend Zucker in ihren Kaffee rührte, um eine ganze Armee von Hypoglykämiepatienten auf Trab zu bringen, eine Marlboro an und zweckentfremdete ihre Untertasse:

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