Gassen der Nacht
und ihn aus seinem Versteck hervorgelockt hatte. Der Spender einer gewaltigen Kraft, ein Füllhorn, das seinen matten Glanz verstrahlte und alles beherrschte. Er schlich durch die Gassen.
Es waren die Gassen der Angst geworden. Unsichtbar lauerte sie zwischen den Wänden, vergleichbar mit einem bösen schleichenden Gift, das sich durch nichts aufhalten ließ.
Er ging geduckt und schritt nie in der Mitte der engen Straßen. Immer hielt er sich dicht an den Hauswänden, die ihn mit ihren Schatten schützten.
Er wollte nicht gesehen werden, noch nicht…
Dabei wußte er genau, daß er seit kurzem einen tödlichen Feind hatte. Ein Mann, der ihm nicht unbekannt war. Einer, den er haßte, der seine Schattenburg zerstört hatte, aber dem es nicht gelungen war, ihn zu vernichten. Und dafür sollte der andere bezahlen. Noch nicht sofort, später erst, wenn er die Panik hier in diesem Viertel ausnutzen konnte.
Bei Mozart gab es den Odem der Liebe, er aber verbreitete den Atem des Todes.
Manchmal zischte er durch sein Maul, und dieses Geräusch wurde gleichzeitig von einem Knurren untermalt. Es war seine Musik, er stimmte sich ein, und er dachte nicht nur an seinen Mordtrieb, sondern auch an die Abrechnung mit seinem Feind, der den Weg zu ihm gefunden hatte. Zuvor aber würde er sich die Person holen, die dafür die Verantwortung trug, denn dieser Mann war unterwegs. Er hatte ihn längst gesehen.
Semerias wußte, daß er blonde Haare hatte und eine dicke Hornbrille trug. Er hatte ihn schon zweimal gesehen, wie er in ein Haus hineingegangen war und es wenig später verlassen hatte. So blieb der Werwolf ihm auf den Fersen.
Manchmal streifte ihn das aus den unteren Fenstern fallende Licht. Dann glänzte sein Fell für wenige Sekunden auf, als würde es vom Mondlicht bestrahlt werden, aber dieser, sein Freund, stand noch zu tief an einem schier endlos wirkenden Nachthimmel, umgeben von einem Kranz aus Sternen.
Ein paarmal schon hätte er sich auf Menschen stürzen und ein Blutbad anrichten können, denn oft genug waren die Personen dicht an ihm vorbeigeschlichen.
Er hatte sich jedesmal zurückgehalten. Für ihn war dieser andere Mann wichtiger.
Ziemlich lange schon hielt er sich in einem gewissen Haus auf. Semerias spürte die innere Unruhe. Er hatte das Gefühl, einfach zu wenig zu wissen. Hier liefen die Dinge an ihm vorbei, und das paßte ihm überhaupt nicht.
Sollte er noch länger warten? Sollte er weitergehen oder wieder zurücklaufen und sich zuerst um seinen eigentlichen Feind kümmern?
Er wartete.
Minuten verstrichen. Autos fuhren kaum noch. Und wenn, dann füllten ihre Scheinwerfer die Gasse mit Licht, so daß sich Semerias gezwungen sah, in Deckung zu gehen. Dafür benutzte er eine Türnische, die breit und gleichzeitig tief genug für ihn war.
Der Mond schickte sein Licht in die Gasse. Wie ein breiter Strahl drang es hinein, ließ das alte Pflaster silbern glänzen und traf auch die lauernde Gestalt.
Der Werwolf wollte nicht in das Haus, nicht auf dem normalen Weg. Vielleicht gab es ja einen anderen, den er nehmen konnte. Er mußte sich nur vergewissern.
Deshalb ging er zurück.
Nach wenigen Schritten erreichte er einen schmalen Querweg, der zur hinteren Seite des Hauses führen mußte. Er huschte hindurch, begleitet von einem bösen Knurren, das sehr tief in seiner Kehle entstand. Als er am Ende der schmalen Durchfahrt für einen Moment stehenblieb, leuchteten seine Augen noch stärker auf.
Er hatte etwas gesehen, das ihm ausgezeichnet gefiel. Jetzt konnte er nur noch hoffen, daß sich sein Opfer im Haus befand. Im Hof gab es mehrere schmale Gebäude, die direkt an die Mauer der Häuser gebaut worden waren und für ihn eine ideale Höhe hatten. Mit einem einzigen Sprung konnte er leicht das Dach dieser primitiven Bauten erreichen, in denen die Ärmsten der Armen hausten. Er hörte ihre Stimmen, er hörte ihr Geschrei, er sah die Lichter hinter den Scheiben, die hellen Flecken auf dem Erdboden.
Dann vernahm er Tritte. Er befand sich nicht allein auf dem Hof.
Semerias reagierte geschmeidig und blitzschnell. Mit einem heftigen Sprung schnellte er sich in die Höhe. Er krallte sich am Rand des Flachdachs fest, zog die Beine nach und blieb auf dem Bauch liegen, als zwei junge Männer die Stelle passierten, an der er noch vor kurzem gestanden hatte.
Er ließ sich Zeit.
Sehr langsam drückte er sich schließlich hoch. Seine Augen schienen sich dabei in hellgelbes Eis zu verwandeln, als er den Kopf in
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