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Gassen der Nacht

Gassen der Nacht

Titel: Gassen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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rückte die Brille zurecht. Er beugte sich etwas vor. »Soll das heißen, daß Sie in der Nacht aufstehen und anfangen, umherzuwandern?«
    »Genau das.«
    »Wo?«
    Sie hob die Schultern. »Das weiß ich nie. Es ist auch unterschiedlich. Wenn sich Wolken vor den Mond geschoben haben, erlebe ich seine Kraft nicht so extrem. Ist der Himmel jedoch frei, so wie heute, dann kann es schlimm werden.«
    »Und Sie können nichts dagegen tun?«
    »Nein.«
    »Haben Sie es versucht?«
    »Es gibt kein Mittel, Mister!«
    Er hob beide Händen. »Waren Sie schon einmal in Behandlung? Haben Sie es mit autogenem Training versucht? Ich hörte davon, daß diese Krankheit so geheilt werden kann.«
    »Das ist für mich jetzt zu spät.«
    »Dann später…«
    »Ich weiß es nicht, Inspektor. Jedenfalls bin ich mondsüchtig und spüre das Kribbeln wieder in mir, obgleich es noch nicht finster geworden ist. Das ist, als wäre mein Blut ausgetauscht worden. Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?«
    »Nicht bewußt.«
    »Seien Sie froh. Es ist nicht angenehm, wirklich nicht. Sie kommen sich vor, als befänden Sie sich in einem Zwischenstadium. Sie sind wahnsinnig aktiv, ohne jedoch etwas unternehmen zu können, weil sich ihre Gedanken einfach verlieren. Und deshalb schaffen Sie dann überhaupt nichts mehr. Aber wenn Sie einmal eingeschlafen sind, ist es wie ein Fall in die Ohnmacht, und Sie wissen auch nie, wo Sie aufwachen. Ich habe da schon die wildesten Überraschungen erlebt.«
    »Das ist natürlich gefährlich«, gab Ralston zu, der sehr genau zugehört hatte. »Sie wissen jetzt, was passieren kann, jedenfalls in dieser Nacht. Wäre es dann nicht besser, wenn Sie sich zurückziehen?«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Sie ziehen hier aus, Mrs. Devine.«
    Paule lachte ihm ins Gesicht. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Inspektor. Wo soll ich denn hin?«
    »Sagen wir so. Sie ziehen hier in dieser Nacht aus. Sie schlafen woanders. Es gibt da einige Hotels, die ich kenne. Keine Nobelschuppen, aber sehr ordentlich und sauber. Packen Sie ihre Sachen ein, dann bringe ich Sie hin.«
    Paula Devine sah aus, als würde sie nachdenken, was sie auch tat. Sie hatte den Blick gesenkt und strich mit den Handflächen über die Tischplatte. »Nein, Inspektor, das werde ich nicht tun. Ich bleibe hier. Ich laufe nicht vor einer Gefahr weg, die ich nicht sehen kann. Ich begreife sie einfach nicht.«
    »Ist das Ihr letztes Wort?«
    »In diesem Fall ja.«
    Ray Ralston seufzte. Er drehte den Kopf und schaute zum Fenster, hinter dem die graue Dämmerung allmählich in die Dunkelheit des Abends überging. Von seinem Platz aus konnte er den Mond gut sehen, der wie ein scharf aus dem Dunkel herausgeschnittenes Glotzauge am Himmel stand, als wollte er nur beobachten und auf seine Zeit warten, um richtig zuschlagen zu können.
    »Sie sehen sich den Mond an, Inspektor?«
    »So ist es.«
    »Macht es Ihnen nichts?«
    »Nein, ich lasse mich nicht von ihm beeinflussen.«
    »Einspruch, Euer Ehren. Jeder wird beeinflußt, das ist festgestellt worden. Der eine eben mehr, der andere weniger. Aber es ist genau zu messen. Nur merken Sie das eben nicht.«
    Ralston schaute auf die Uhr. Er wollte nicht länger über die Mondsüchtigkeit diskutieren. Außerdem mußte er seine Runde drehen.
    »Ich werde jedenfalls in der Nähe bleiben, Mrs. Devine.«
    »Am Haus also?«
    »Ja, das denke ich.«
    Auch Paula erhob sich. »Dann bin ich ja beruhigt.« Sie lächelte. »Und wenn Sie eine Gestalt durch die Dunkelheit schleichen sehen, wissen Sie ja, wer es ist.«
    Er schaute sie an. »Natürlich, an Sie werde ich mich erinnern.«
    »Oh, welch ein Kompliment zum Abschluß.« Wie eine Operettendiva breitete Paula ihre Arme aus.
    Ray Ralston konnte keine Freude empfinden. Bei ihm überwog das gegenteilige Gefühl - die Furcht…
    ***
    Er war frei, er bewegte sich durch die graue Dunkelheit. Lautlos schlich er in den anbrechenden Abend hinein. Er hatte seinen Schädel vorgestreckt, und in den Augen lag die Kälte des Todes, gepaart mit einer schon irrsinnigen Mordlust.
    Seine Ohren hatten sich aufgerichtet. Das Fell lag glatt und mausgrau an seinem Körper. Er ging aufrecht wie ein Mensch, obgleich er eine Bestie war.
    Bei seinem Körper stimmten die Proportionen nicht mit denen eines Menschen überein. Seine Arme waren langer, die Hände breiter und statt der Finger waren ihm Krallen gewachsen.
    Er war nackt, aber er spürte die Kälte nicht. Es war sein Wetter, es war sein Mond, der am Himmel schien

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