Gassen der Nacht
den Nacken legte und nach oben blickte.
Er war sehr sensitiv veranlagt. Besonders dann, wenn es um Personen ging, die zu ihm in einem gewissen Verhältnis standen. Er konnte sie spüren, ertasten und wußte auch jetzt, daß sein erstes Opfer in dieser Nacht nicht mehr weit entfernt war.
Oben…
Irgendwo dicht unter dem Dach hielt es sich auf. Vielleicht da, wo die Gaube vorstand und das Licht auf die schmutzigen Dachpfannen fiel. Knapp darüber malte sich der Mondkreis ab.
Er hatte an Intensität gewonnen, er zeigte jetzt ein schon dichtes Gelb. Seine Kraft würde sich steigern, möglicherweise sogar vervielfachen, wer konnte das schon sagen?
Er rechnete damit.
Für einen Menschen wäre es fast unmöglich gewesen, an der Hauswand hochzuklettern. Der Werwolf aber schaffte es. Er krallte sich fest, nutzte jeden Vorsprung aus und nahm die eine oder andere Fahnenstange als Stutze.
So arbeitete er sich weiter, bis er die Dachrinne erreicht hatte und sich an deren unterem Rand festklammerte. Er wartete für einen Moment, prüfte, ob sie auch hielt, war zufrieden und schwang sich geschmeidig über die Rinne hinweg. Auf der schrägen Dachfläche blieb er liegen, nicht weit von dem erleuchteten Gaubenfenster entfernt. Das war sein Ziel. Dort würde er sein Opfer finden und es einfach zerreißen, wie er es schon einmal getan hatte.
Auf dem Bauch liegend, bewegte sich die Kreatur weiter. Semerias fühlte sich unbesiegbar. Schon in Atlantis hatte er Angst verbreitet, und das wiederholte sich jetzt, mehr als zehntausend Jahre später. Semerias ging raffiniert vor. Er hielt sich im toten Winkel. Wenn jemand aus dem erleuchteten Fenster blickte, würde er ihn nicht entdecken können. Das sollte auch so sein, denn er wollte bestimmen, wann man ihn sah.
Er kroch weiter. Sein Fell schabte über das feuchte Dach. Die Pfannen waren alt, an einigen Stellen auch zerbröselt, an manchen waren keine mehr vorhanden. Dafür aber Löcher, die aufklafften wie große Mäuler. An ihnen wand er sich vorbei.
Er spürte den Schein des Mondes in seinem Rücken und genoß ihn so wie manche Menschen die Strahlen der Sonne. Sein breites Maul hatte sich verzerrt, so daß sein Gesicht aussah wie eine schiefe, grinsende Maske. Und er spürte die Nähe des Feindes.
Immer dichter schob er sich an das Fenster heran. Der Werwolf achtete darauf, daß er nicht in den Lichtschein geriet, denn sein Schatten sollte sich nicht zu früh auf dem Dach abzeichnen.
Von der linken Seite her wollte er durch die Scheibe in die Wohnung schauen.
Er bewegte die Krallen. Das Fell auf seinem Rücken hatte sich gesträubt. Sein Blick nahm einen tückischen Ausdruck an, als er den Kopf drehte, um vom Rand des Fensters her in den Raum zu blicken. Er sah die Frau.
Sie drehte ihm den Rücken zu. Ihr gegenüber saß genau der Mann, den er gesucht hatte.
Sofort zuckte er wieder zurück, richtete sich etwas auf und drehte sein Gesicht dem Mond zu, als wolle er in dessen Strahlen baden. Die feinen Härchen auf seinem Gesicht zitterten. Semerias dachte über einen Plan nach, wie er sich die Opfer holen konnte. Dazu brauchte er nur die Scheibe zu zerschlagen und in das Zimmer zu hechten. Breit genug war das Fenster schließlich.
Wenn das vorbei war, würde er sich um seinen ärgsten Feind kümmern und ihn in Stücke reißen.
Wieder bewegte er sich vor.
Den linken Arm hatte er bereits angehoben und halb ausgestreckt. Er war bereit, zuzuschlagen, aber Semerias tat es nicht. Er erstarrte mitten ihn der Bewegung.
Nur mehr die Frau befand sich im Zimmer.
Sein Feind aber war verschwunden!
***
Ich befand mich in einer Zwickmühle. Was sollte ich tun? Hier im Haus bleiben oder nach draußen gehen und durch die engen Gassen schleichen, auf der Suche nach zwei Personen?
Zum ersten nach dem Kerl, der mich niedergeschlagen hatte, und zum zweiten nach Semerias.
Ja, genau, denn ich war davon überzeugt, daß er sein Reich, das im oder hinter dem Spiegel lag, verlassen hatte. Der Spiegel war nur noch eine tote Fläche, mehr nicht.
Ich stand im Hausflur und hatte mich gegen die Wand gelehnt. Immer wieder hob ich meinen rechten Arm, weil ich herausfinden wollte, ob mich nicht doch eine Prellung in der Bewegung behinderte. Es war nichts.
Ich spürte nur die Schmerzen, aber die ließen sich ertragen. Ich ging auf die Haustür zu, Öffnete sie und blieb in der Nische stehen, angeweht von einer kühlen Luft.
Klar und greifbar nahe stand der Vollmond am Himmel. Er beherrschte alles,
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