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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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sprechen, ließ es aber sein.
    Am Abend hatte ich Dienst im Ambulatorium. Seit die Triebwerke wieder in Tätigkeit waren, wuchs die Zahl meiner Patienten, wenn auch nicht beträchtlich. Immerhin waren es zwei oder drei mehr als sonst. Die meisten brauchten nur den Mund aufzumachen, und ich wußte bereits, um was es ging. So gut kannte ich schon ihre Beschwerden. Häufig klagten sie über einen unwiderstehlichen Zwang, blitzende Gegenstände anzusehen. Der Zustand dauerte manchmal eine Viertelstunde und hatte ernsthafte psychische Erschöpfungserscheinungen zur Folge.
    In der Nacht quälte mich ein schwerer Angsttraum: In tiefster Dunkelheit stand ich vor der Klappe, die sich langsam, zögernd öffnete, so daß ich die durchdringende, starre Kälte des leeren Weltraums spürte. Ich erwachte. Mein Herz klopfte wild, und ich vermochte nicht wieder einzuschlafen.
    Den Vormittag verbrachte ich in Gesellschaft der drei Piloten Yeryoga, Ameta und Zorin. Wir wanderten durch das ganze Schiff, unterhielten uns lebhaft, lachten sogar. Aber die lastende Erinnerung an den Traum wich nicht von mir. Nach dem Mittagessen suchte ich Rudelik auf. Er arbeitete seit längerer Zeit an einem neuen Problem und zeigte sich nicht. Er saß mit gekreuzten Beinen auf dem Schreibtisch und tippte mit einem Finger auf dem Rechenautomaten. Eigentlich hätte ich gleich wieder gehen müssen; ich blieb aber und bat ihn, sich durch meine Anwesenheit nicht stören zu lassen, ich wollte nur eine Weile still dasitzen. Er war einverstanden. Ich ließ mich in einer Ecke nieder und beobachtete schweigend, auf welch unterhaltsame Art sich Rudeliks geistige Anstrengung äußerte. Er biß in das Ebonitkontaktstäbchen, runzelte die Stirn, verzog den Mund. Dann glättete sich sein Gesicht und heiterte sich auf. Mitunter starrte er vor sich hin, als spielten sich vor seinen Augen unglaubliche Wunder ab. Ein andermal murmelte er unwillig, sprang vom Schreibtisch und lief mit langen Schritten hin und her, schnalzte mit den Fingern, trat wieder an den Apparat und notierte etwas. Schließlich wandte er sich lächelnd an mich: „Es geht halbwegs voran. Aber manchmal könnte man die Wände hochgehen. Goobar hat mir diese Nuß zu knacken gegeben.“
    „Du arbeitest jetzt mit Goobar zusammen?“
    „Ja, so sieht es aus. Er braucht einen neuen analytischen Apparat, einen Apparat im Sinne logischen Denkens und keine Maschine, und hat einen solchen mathematischen Morast aufgewühlt, daß man heulen möchte. Es ist ein Problem, das man von zwei, meinethalben auch von zweihundert Seiten aus in Angriff nehmen kann. Dabei ist ungewiß, welcher Weg zum Ziel führt.“
    Rudelik hatte Feuer gefangen und begann, mir die Sache zu erklären. Ich zog es vor, ihn nicht zu unterbrechen, denn ich verstand ohnehin nur den zehnten Teil. Soweit ich begriff, handelte es sich darum, daß ein in den Gleichungen auftauchendes Unendlich ihren ganzen physischen Sinn aufzuheben drohte. Dieses Unendlich war anfangs gefügig gewesen und hatte sich von einer Stelle auf eine andere versetzen lassen. Er hatte deshalb versucht, Schlingen zu legen, um es zu fangen, und damit gerechnet, daß es in eine dieser Fallen gehen würde, auf beiden Seiten der Gleichung auftauchte, so daß er es durch einfache Kürzung beseitigen könnte.
    Die Kürzung hatte sich indessen aus einem gehorsamen Mechanismus in eine alles mit sich reißende Lawine verwandelt, und das Resultat dieses mühsamen Weges durch das mathematische Dickicht lautete Null ist gleich Null, ein unbestreitbar richtiges Ergebnis, das aber keinen Anlaß gab, sich zu freuen. „Warst du damit schon bei Tembhara?“ fragte ich ihn, als er schwieg und sein Haar glattstrich, das bei der temperamentvollen Erklärung in Unordnung geraten war.
    „Ja.“
    „Na und?“
    „Er sagt, daß wir in der Gea kein Elektronenhirn haben, das dieses Problem lösen kann. Es handelt sich um ein ganz besonderes Problem, wie du siehst… Man könnte ein geeignetes Elektronenhirn bauen, aber nicht hier. Es müßte wahrscheinlich so groß sein wie unser ganzes Schiff.“
    „Das heißt, ein Giromat?“
    „So ungefähr. Aber ein solcher Giromat würde aufs Geratewohl arbeiten, mit der Methode der Proben und Fehler, wie ein Blinder also, und er würde die Aufgabe nur deshalb in einer annehmbaren Zeit lösen, weil er zwölf Millionen Operationen in der Sekunde ausführt. Nein, das alles ist Unsinn! Überleg mal: blindlings lösen! Ich habe immer gesagt, diese Elektronenhirne

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