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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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kriechen mit blitzartiger Geschwindigkeit, der menschliche Gedanke aber springt. Die Mechanoeuristen haben kein Empfinden für den Arbeitsstil eines Mathematikers. Ihnen ist es ganz gleich, wie der Automat etwas löst, Hauptsache, er löst es… Ja, wenn sich ein entsprechendes Metasystem finden ließe… Donnerwetter, warte mal!“ Er lief an den Apparat und hämmerte rasend schnell auf ihn ein. Dann blickte er auf den Bildschirm, räusperte sich, fuhr mit der Hand durch das Haar und schaltete das Gerät aus. Seine Miene drückte, als er sich mir zuwandte, eine solche Enttäuschung aus, daß ich gar nicht erst fragte. Er setzte sich, wie es seine Art war, auf die Lehne eines Sessels und begann zu pfeifen.
    „Wozu brauchst du die Lösung dieses Problems?“ erkundigte ich mich. „Ach, das hängt zusammen mit der Permutation der Materie eines Organismus, der sich in einem rasch wechselnden Gravitationsfeld bewegt.“
    „Ziehst du Goobar zu Rate?“
    „Nein“, erwiderte er so energisch, als wollte er jede weitere Diskussion darüber abschneiden. Gleich darauf fügte er hinzu: „Ich weiche ihm sogar aus. Ich komme mir vor wie eine Ameise, weißt du, die über die Oberfläche eines riesigen Gegenstandes krabbelt und auf ihrer Wanderung das Bild des Ganzen erkennen möchte. Einstweilen aber vermag ich bewußt nur einen winzigen Teil zu erfassen. Goobar – nun ja, er wäre vielleicht imstande, das Ganze zu überblicken; aber auch er wäre gezwungen, das Problem vorerst ebenso anzugreifen wie ich und den ganzen Weg zu durchmessen, den ich bereits zurückgelegt habe. Er könnte mir also nicht helfen, sondern nur die Aufgabe an meiner Stelle lösen. Wir würden aber nicht weit kommen, wenn wir jedes Problem nur deshalb Goobar überließen, weil er es schneller löst! Im übrigen ist er mit Arbeit überhäuft.“
    „Wenn ich dich richtig verstanden habe, so ist er in denselben ,mathematischen Sumpf‘ geraten, nur von einer anderen Seite her.“
    „Ja.“ Rudelik seufzte. „Als ich ihn zum erstenmal traf, da begriff ich bereits nach fünf Minuten, daß er nicht mein Gesprächspartner war – die andere Schale an der Waage unseres Gespräches, die das Gleichgewicht mit mir hielt –, sondern daß er längst alle meine Argumente, Feststellungen, Hypothesen kannte und in sich verarbeitet hatte und daß der Versuch, dem Bereich seines Denkens zu entkommen, ebenso aussichtslos war wie die Bemühungen eines Fußgängers, aus der ihn umschließenden Himmelskuppel auszubrechen.“
    „Das sagst du, der hervorragende Mathematiker?“ fragte ich erstaunt.
    „Mag ich noch so hervorragend sein – er ist genial, und von dem einen zu dem anderen ist ein weiter Schritt! Nun, auch er würde sich allein keinen Rat wissen, denn auch ein Genie vermag nicht über tausend Dinge zugleich intensiv nachzudenken. Er müßte also mindestens zweitausend Jahre leben, um solche Probleme zu bewältigen. Ja, so ist es, ohne uns könnte er nichts vollenden, das darf ich getrost behaupten.“
    Ich konnte dem Verlangen nicht widerstehen, ihn nach einer Sache zu fragen, die mich seit langem beschäftigte. „Ich möchte dich etwas fragen, aber bitte, lache nicht darüber. Wie stellst du dir die Gleichungen vor, die du im Geiste umbildest? Siehst du sie?“
    „Wie meinst du das?“
    „Ob du sie in deiner Vorstellung, deiner Einbildungskraft, als kleine schwarze Lebewesen siehst?“ Rudelik riß erstaunt die Augen auf. „Was für Lebewesen?“
    „Nun, eine mathematische Formel erinnert doch, wenn man sie niedergeschrieben hat, ein wenig an eine Reihe schwarzer Ameisen oder Würmchen“, erklärte ich etwas unsicher. „Ich dachte, daß diese Zeichen sich in deinem Kopf auch ähnlich umformen oder verändern…“
    Rudelik lachte hellauf. „Kleine schwarze Lebewesen! Wunderbar! Auf so etwas wäre ich nie gekommen!“
    „Also, wie ist es?“ drängte ich.
    Er überlegte, dann sagte er: „Wenn du einen Begriff durch ein Wort ausdrückst – sagen wir zum Beispiel,Tisch‘ –, stellst du dir dann die fünf Buchstaben vor?“
    „Nein, einen Tisch…“
    „Na also. Ebenso stelle ich mir meine Gleichungen vor.“
    „Tische sind aber da, sie existieren, deine Gleichungen hingegen sind nicht vorhanden“, widersprach ich.
    Rudelik warf mir einen Blick zu, daß ich verstummte.
    „Sie sind nicht da, nicht vorhanden?“ fragte er in einem Ton, als wollte er sagen: Mensch, besinne dich, komm zu dir!
    „Wenn du sie nicht als geschriebene Buchstaben

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