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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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verwöhntesten Ansprüchen genügen – kurz alles, was man sich wünschen konnte, stand bereit oder wurde von den Atomsynthetisatoren unverzüglich hergestellt. In unserem Park lösten die Jahreszeiten einander ab. Kinder, die in den ersten Monaten der Reise zur Welt gekommen waren, sprachen bereits.
    In langen abendlichen Unterhaltungen erzählten wir unsere Erlebnisse und verwickelten Lebensgeschichten, die, im Zeitraffertempo geschildert und gesehen, klar erkennen ließen, weshalb das Leben des einen oder des anderen ihn an Bord der Gea geführt hatte. Niemand suchte mehr die Einsamkeit – im Gegenteil, die Mitglieder unserer Expedition kamen einander immer näher, ja, sie wurden häufig intimer, als gut war, und schlossen sich zu rasch aneinander an. Ameta sagte: „Es kommt nichts Gutes heraus, wenn sich Schwäche mit Schwäche verbindet. Null plus Null bleibt Null.“
    Es war schwer, diese endlosen Wochen und Monate zu überwinden. Wenn ich auch selbst, dank meiner innigen Verbindung mit einer Gruppe von Menschen, die über schier unerschöpfliche Reserven geistiger und seelischer Kraft verfügten, recht wenig unter diesen Verhältnissen litt, so bemerkte ich doch als Arzt, daß die Leere anderen den Sinn der Arbeit und des Lebens zersetzte.
    Schlaflosigkeit wurde zu einem allgemein verbreiteten Leiden. Der Arzneimittelverbrauch stieg, verglichen mit dem ersten Jahr, auf das Vielfache. Es kam zu Störungen des seelischen Gleichgewichts, zu Reibereien zwischen Arbeitskollegen, ja sogar zwischen Freunden, aus nichtigen Anlässen. Zu jeder Tageszeit begegnete ich Menschen, die ziellos umherschlenderten und mit starrem, wie in sich gekehrtem Blick an mir vorübergingen. Vor allem die Gruppe, deren Tätigkeit am engsten mit der Erde verknüpft war, erregte unsere Besorgnis. Der Verlust jeder Verbindung mit unserem Planeten untergrub die Grundlagen ihres Daseins. Wir suchten sie zu bewegen, sich anderen Kollektiven anzuschließen, aber nicht alle konnten oder wollten sich dazu bereit erklären. Die freiwillige Arbeit war für uns selbstverständlich, da sie sich aus unseren Lebensformen ergab. Auf der Erde hatten wir uns keine Gedanken darüber gemacht; aber hier, auf der Gea, wandte sie sich gegen uns.
    Aber nicht die Erscheinungen, die ich eben nannte, waren am bedenklichsten. Die ganze Atmosphäre von den obersten Decks bis in die entlegensten Winkel wurde unerträglich, unsagbar bedrückend. Eine unsichtbare Bürde lastete auf uns allen, auf jedem Wort, jedem Gedanken. Der Schlaf, falls er überhaupt kam, brachte quälende Träume. Durch die Gespräche mit meinen Patienten lernte ich häufig ihren Inhalt kennen. Vielen träumte, daß Giftschwaden durch die Atomschutzwände drangen oder daß unsere Wissenschaftler feststellten, die Gea bewege sich gar nicht, sondern hänge regungslos im Raum. Selbst im wachen Zustand war es unmöglich, sich von diesem Alpdruck zu befreien, denn die Stille war dann noch mehr zu spüren, überall konnte man sie, so absurd das klingen mag, hören. Sie drängte sich zwischen die Worte eines Gesprächs, trennte die Gedanken und schied die Menschen voneinander, so daß sie sich im Bruchteil einer Sekunde auf den entgegengesetzten Polen eines finsteren, unendlichen Schweigens glaubten. Wir nahmen den Kampf gegen diesen Feind auf. In den Laboratorien und Arbeitsräumen wurden die Geräuschverzehrer ausgeschaltet. Der Lärm der Maschinen dröhnte durch das ganze Schiff. Aber das monotone Brummen, Fauchen und Rattern schien unserer Bemühungen zu spotten, und wir sahen ein, daß solche Versuche illusorisch waren. Wer von uns wäre in diesem Jahr noch der Sterngalerie ausgewichen? Keiner. Denn die Sterne kamen zu uns. Sie waren allgegenwärtig. Als glühende Punkte erschienen sie, sobald man nur die Augen schloß.
    Eines Tages tauchte, niemand wußte woher, eine Eingabe an den Rat der Astrogatoren auf, in der verlangt wurde, die Geschwindigkeit der Gea um siebentausend Kilometer in der Sekunde zu erhöhen. In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, daß dann die Geschwindigkeit noch immer dreitausend Kilometer unter der kritischen Grenze liege, und diese Spanne genüge, die Gesundheit und das Wohlbefinden der Besatzung zu sichern. Die erwähnte Beschleunigung kürze aber die Dauer des Fluges erheblich ab.
    Sonderbar berührte es uns, daß diese Eingabe von einem Mitglied der Expedition anonym verfaßt und in Umlauf gebracht worden war. Bevor die Petition in die Hände der Astrogatoren

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