Gast im Weltraum
Entwicklung nichts. Der Bau unserer Körper, der Hirne und Sinne ist der gleiche wie bei den Menschen des Altertums. Trotzdem war für die Argonauten das Meer, das sie überquerten, grenzenlos, während wir die Entfernung von der Erde zur Sonne einen ,Sonnenschritt‘ nennen. Vielleicht kommen nach uns Kosmonautiker, für die ein Kiloparsec, mehr als dreitausend Lichtjahre, ein ,Schritt‘ ist.“
„Können wir nicht die Astronauten mit den Argonauten vergleichen?“ fragte Ameta. Grünliche und silberschimmernde Reflexe glitten über sein Gesicht.
„Die Größe des Mutes kann man selbstverständlich nicht an der Ausdehnung des überwundenen Raumes messen, das wäre Unsinn. Die Köpfe der Alten waren ja kaum vom Nebel magischer Vorstellungen frei. Überall sahen sie schlafende Ungeheuer, Drachen, Götter–und trotzdem segelten sie weiter…“ „Ein solcher Vergleich von Menschen verschiedener Epochen scheint mir gewagt“, warf Nils ein. „Die Menschen des Altertums waren gewalttätig, unausgeglichen, ebenso rasch zu Tränen gerührt wie zu Kampf und Streit bereit.“
Ameta hob den Blick. Ihm gegenüber, hinter der Glaswand, bewegten sich die Köpfe der Fische und berührten mit geöffneten Mäulern das Glas, als wollten sie dem Gespräch zuhören.
„Sie waren sehr einfache und gute Menschen“, sagte der Pilot. „Ich kann sie sehr gut verstehen. Sie waren mutig und hatten ihre Träume. Es ist unwesentlich, daß sie die Träume in märchenhafte Formen kleideten, die uns sonderbar Vorkommen. Was ihnen gebot, ihre Fischerdörfer zu verlassen und auf die unerforschte Weite des Meeres hinauszusegeln, das ist im Grunde das gleiche, was uns zu fernen Sonnen treibt.“
„Wie kannst du nur so sprechen?“ Nils stand auf. „Die Menschen des Altertums machten ihre Entdeckungen unbewußt, jagten Phantasiegebilden nach. Sie waren Sklaven ihrer Mythen!“
„Du bist ungerecht“, erwiderte der Paläopsychologe. „Ich will nur einen Faktor aus der Verflechtung vieler nennen: Der Mechanismus der gesellschaftlichen Kräfte war in der barbarischen Epoche ein Rätsel. Das Leben, aus der Nähe betrachtet, war wie der Tanz von Stäubchen in einem Sonnenstrahl, Staubteilchen, die dann und wann von einem Kataklysmus durcheinandergewirbelt wurden. Der Mensch wünschte den Sinn seines Lebens und des Daseins der anderen Lebewesen zu ergründen. Da er ihn unter allen Umständen erfahren wollte, zahlte er sogar den Preis der Unlogik dafür: Er beschritt den Weg aus dem wirklichen, wahren, nahen Leben in ein gedachtes ewiges Leben, um seinem irdischen Dasein einen Sinn zu geben.“
Als der Psychologe merkte, daß Nils ihm nicht mehr zuhörte, schwieg er. Mein junger Freund starrte gebannt in den Korridor, aus dem ein junges Mädchen auf uns zukam. Nils trat unbewußt einen Schritt vor. Das Mädchen sah sich um. Aus dem Schatten tauchte eine zweite Gestalt auf – Viktor. Die beiden gingen an uns vorüber und verschwanden hinter der Säulenreihe. Nils stand starr und steif, nur seine Finger bewegten sich, als zerrieben sie etwas. Plötzlich zuckte er zusammen. Wahrscheinlich spürte er unseren Blick. Er richtete sich auf, schritt mit gleichgültiger Miene auf die Glaswand zu und starrte mit zusammengepreßten Lippen in das grüne Leuchten, das sich in seinen weitgeöffneten Augen spiegelte, die nicht sahen, was rings um ihn geschah. Als ich Nils beobachtete, fiel mir meine erste Liebe ein. Es war in den Bergen. Ich war sehr jung und sehr unglücklich. Ich trieb mich die ganze Nacht in den Wäldern herum und kehrte erst gegen Morgen völlig durchnäßt und verschmutzt in die Schutzhütte zurück. Aus dem dichten Nebel rieselte feiner Sprühregen. Ich schlief ein. Plötzlich weckte mich das Zwitschern der Vögel. Ich trat ans Fenster. Es dämmerte bereits. Ich öffnete das Fenster und blickte dorthin, wo Himmel und Erde einander berührten, wo es immer heller wurde, bis Nebel und Wolken in reglosen Flammen standen. Ich starrte in die Weite, als sähe ich die schier endlose Reihe von Tagen, die auf mich zukamen – meine Tage –, als sähe ich den unermeßlichen Reichtum, mit dem sie mich überschütten wollten, und ich spürte, wie stark mein Herz schlug. Ich war traurig und glücklich…
Die Festlichkeit zog sich bis spät in die Nacht hin. Schließlich flaute der Lärm im Saal ab, auch die Lampen schienen nicht mehr so hell zu leuchten. Wir waren müde. Von Zeit zu Zeit trat ein allgemeines Schweigen ein, und nur die leichten
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