Gast im Weltraum
Schritte der bedienenden Automaten waren zu hören. In einer solchen Pause stimmte jemand ein sehr altes Lied an. Anfangs klang es etwas holprig, aber dann ging die Melodie von Mund zu Mund und riß alle mit. Mitunter fehlten uns die Textworte, nur wenige kannten sie, diese uralten, kaum verständlichen, sonderbaren Worte von Verdammten, die der Hunger zur Arbeit zwang, und ihrem letzten Kampf. Wenn eine Gruppe verstummte, dann sangen die anderen weiter, so daß die Melodie sich immer wieder begeisternd auf schwang. Hinter mir dröhnte ein mächtiger Baß. Ich wandte mich um und erblickte Ter Akonian. In seinem Gesicht schien sich, wie nie zuvor, die düstere Schönheit der Berge, die seine Kindheit umgeben hatten, gesammelt zu haben. Er, der wohl am stärksten von uns allen diesen Flug zu den Gestirnen erlebte, der sein ganzes Leben der Verwirklichung dieses Traumes gewidmet hatte, sang stehend die alte Hymne der Erdenbewohner und – weinte mit geschlossenen Augen.
Zehn Tage später weckte mich mitten in der Nacht ein Klingelzeichen aus der Krankenstation. Eine Geburt stand bevor. Ich schlüpfte in den Kittel und warf einen Blick in Annas Schlafzimmer. Ihr Bett war leer, unberührt. Am Abend hatte sie gesagt, sie müsse eine dringende Untersuchung im Labor Schreys abschließen und werde gewiß spät zurückkommen. Ich sah auf die Uhr. Es war kurz vor drei Uhr. Ich war empört und nahm mir vor, sie nicht anzurufen, sondern allein bei der Geburt zu assistieren; am Morgen wollte ich sie mit einigen herben Worten begrüßen. Ich ging in den Kreißsaal. In dem gedämpften Licht erkannte ich Mila Grotrian, die Frau des Astrophysikers Ryliant. Sie entband zum erstenmal und war sehr unruhig. Ich fragte sie, wo ihr Mann sei. Es stellte sich heraus, daß er im Observatorium die Verdunklung eines Doppelsterns beobachtete. Um ihr die Angst zu nehmen, beklagte ich unser beider schlimmes Los – den übermäßigen Arbeitseifer der Ehegatten. Ryliant rief alle paar Minuten an und erkundigte sich nach dem Befinden seiner Frau. Da mich diese Anrufe störten, riet ich ihm schließlich, er solle sich um seine Sterne kümmern, ich würde schon auf seine Frau achten.
Die Geburt ging langsam voran. Gegen vier Uhr beunruhigten mich die unregelmäßigen Herztöne des Kindes. Ich wartete, rechnete auf die Kraft der Natur. Als aber die Herztätigkeit des Ungeborenen schwächer wurde, ent schloß ich mich, eine entsprechende Injektion zu geben. Ich bereitete die Instrumente vor und suchte an der schneeweißen Hand der Frau ein blaues Äderchen. „Es tut nicht weh“, redete ich ihr zu. „Siehst du, schon ist es geschehen.“
Die klare Flüssigkeit strömte aus der Spritze in die Ader. Als ich den Widerstand des Kolbens spürte, zog ich die Hand mit der Spritze zurück. In diesem Augenblick leuchtete die Decke über uns rot auf. Gleichzeitig rief eine klirrende Stimme: „Achtung, Achtung! Alarmstufe zwei!“
Ein scharfer Knall folgte, der Fußboden bebte, das Licht erlosch. In tiefer Finsternis stand ich ratlos am Bett der Gebärenden. Einige Sekunden lang war es so still, daß ich das leise Rascheln hörte, das Milas Hemd bei jedem Atemzug an der Decke verursachte. Ich suchte den Schalter der Reservereflektoren. Er befand sich, soviel ich mich erinnern konnte, am Kopfende des Bettes. Bevor ich ihn ertastete, spürte ich eine starke Erschütterung, die von einem dumpfen Schlag begleitet war, als hätte jemand mit einem schweren Hammer auf den Boden des Saales geschlagen. Zugleich drang aus den eingebauten Lautsprechern ein metallenes Schnarren, das sich zu einem krampfhaften Gebrüll steigerte. „Festhalten, Mila!“ schrie ich.
Der Anprall schleuderte mich zur Seite. Ich stürzte und verlor die Orientierung. Rasch sprang ich auf und stieß mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand. Dann kam eine neue, wieder so heftige Erschütterung, daß ich taumelte. Ich streckte die Hände aus. Farbige Flecke tanzten vor meinen Augen. Vergebens riß ich sie auf, so weit ich konnte, um etwas zu sehen. Ich spürte nicht die geringste Angst, nur ein Gefühl unerträglicher Machtlosigkeit, das sich in Zorn wandelte. Aus den chaotischen Tönen und Geräuschen über uns drang plötzlich der Schrei eines Menschen, der unter größter Anstrengung nach Atem rang: „Alarmstufe drei… Ich schalte… das Unfallnetz ein… Achtung!“
Dann dröhnte es zweimal hintereinander, als wären dicht vor mir Sprengladungen explodiert. Die Stimme im Lautsprecher
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