Gast im Weltraum
stammelte undeutliche Worte, die ich mehr erriet als hörte: „Die Schwerkraft… schwindet…“
Mein Körper verlor sein Gewicht.
Du Dummkopf, schalt ich mich im stillen, weshalb hast du nicht die Taschenlampe mitgenommen?
Ich trug sie nie bei mir, denn ich hielt die Beleuchtung selbst bei Unfällen für gesichert. Unbeholfen und ratlos wie ein junger Hund, den man am Genick gepackt hat, hing ich in der Luft und rief verzweifelt: „Mila – antworte doch!“ Auf einmal wurde es hell. Die grünlichen Notlampen flammten auf. Ich schwebte, ungefähr vier Meter vom Bett entfernt, schräg in der Luft. Mila war halb aufgerichtet. Sie preßte eine Hand auf ihren Leib, mit der anderen hielt sie sich krampfhaft an dem Metallgestell fest. Nach einigen vergeblichen Versuchen glückte es mir endlich, zu ihr zu gelangen. Sie war sehr blaß. Wir blickten uns in die Augen. Ich versuchte zu lächeln. „Das hat nichts zu bedeuten. Ein kleiner Unfall, nichts weiter !“ rief ich, obwohl sie mich nicht hören konnte, denn das Heulen über uns dauerte unvermindert an. Eine neue Erschütterung hätte mich beinahe wieder in den Saal geschleudert.
Rasch band ich mich mit einem Gurt am Bett fest, um die Hände frei zu haben. Das Schiff erbebte wieder, aber anders als zuvor. Gleich darauf ertönte ein höllisches Pfeifen, das mit einem dumpfen Schlag endete. Ich begriff: Die Schotten, die einen Raum von dem anderen abriegeln, wurden geschlossen. Das war kein Unfall, sondern eine Katastrophe.
Das Gesicht Milas mit den weitgeöffneten, starren Augen war dicht vor mir. Ihr Körper bog und wand sich, sie schrie etwas, aber ich verstand es nicht. Ich näherte mein Ohr ihrem Mund.
„Mutter! Mutter!“ Der Schrei kam wie aus weiter Ferne.
Noch ein Schott fiel dumpf dröhnend, als wäre es vor der Tür des Kreißsaals. Im Bruchteil einer Sekunde kamen mir zwei Dinge klar zum Bewußtsein: Die Geburt nimmt ihren Lauf, nichts vermag sie aufzuhalten, nur der Tod – und Annas Arbeitsraum liegt im obersten Stockwerk, unmittelbar unter dem Stahlpanzer der Gea. Ich sah sie schutzlos einem Hagel von Stahl- und Eisenstücken preisgegeben, die ihren Körper unter sich begruben, und hätte das Gefühl, als risse mir jemand das Herz aus dem Leib. Ich krümmte mich zusammen, warf mich zurück, wollte zu ihr eilen, mit bloßen Händen die Stahlwände, die uns trennten, zertrümmern, um bei ihr zu sein, mit ihr zusammen sterben zu können. Ich zerrte wie besessen an dem Hindernis, das mich festhielt – ich hatte vergessen, daß ich mich selbst an das Bett geschnallt hatte.
Die Gebärende schrie mit weitgeöffnetem Mund. Das brachte mich zur Besinnung. Ich hörte auf, mich gegen das Unvermeidliche zu sträuben, wurde still, streckte die Hand aus und fühlte das heiße, feuchte Köpfchen, das verklebte Haar des Kindchens. Das gespenstische Licht der Notbeleuchtung flackerte, ich selbst war gewichtlos, die Instrumente schwebten um unsere Köpfe. Ein großes Gefäß voll Blut glitt an meiner Schläfe vorüber, funkelte im einfallenden Licht wie ein riesiger Rubin und prallte von der Wand leise klirrend ab. Mila jammerte und stöhnte, ich hörte es nicht, ich sah es nur an dem schmerzverzerrten Gesicht, in dem die weißen, fest aufeinandergepreßten Zähne blitzten.
Heulen, Plätschern, Krachen, Bersten rollte und tobte über uns hin. Ich beugte mich tiefer, um mit meinem Körper das junge Leben und die Mutter zu schützen, den zarten Körper, den die Wehen schüttelten. Das Licht wurde immer schwächer. Kurz zuvor waren die Lampen noch phosphoreszierende Kugeln gewesen, nun wurde es wieder finster und zugleich totenstill. Plötzlich vernahm ich ein leises, aber deutliches Wimmern. In der Linken hielt ich – wer weiß wie lange schon – das erforderliche Instrument. Tastend suchte und fand ich die Nabelschnur, band sie ab. Es gelang mir, mit der Hand das Tischchen zu erreichen. Ich riß die Kompressen aus der Packung, faltete sie auseinander und wickelte den Körper des Neugeborenen ein. Über uns klirrte und rasselte es von neuem.
„Festhalten!“ rief ich Mila zu. Die Erschütterung, auf die ich wartete, blieb aus. Der Lautsprecher brummte, und dann erklang Yrjölas vertraute Stimme; „Gefährten, bewahrt Ruhe, wo ihr euch auch befindet. Die Gea ist mit einem kleinen kosmischen Körper zusammengestoßen. Wir sind Herr der Lage. Vorübergehend sind die oberen fünf Stockwerke vom übrigen Schiff abgeschnitten. Bewahrt Ruhe und bleibt dort, wo ihr
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