Gast im Weltraum
denn sie hat sich die Jahrhunderte hindurch ständig weiterentwickelt. Ich sehe hier beträchtliche Schwierigkeiten. Eine solche Gruppe von Menschen wird der irdischen Gesellschaft entfremdet sein. Wenn transgalaktische und noch weitere Expeditionen zu einer alltäglichen Begebenheit werden – und die Zeit wird kommen –, dann werden in gewissen Zeitabständen Raumschiffe mit Menschen der Jahrgänge 3100, 3200, 3500, 4000 und so weiter auf die Erde zurückkehren. Dadurch kommt es zu einem eigenartigen Nebeneinanderleben verschiedener Generationen, und neue Formen des Zusammenlebens müssen gefunden werden, die eine Assimilierung dieser Gruppen durch die Gesellschaft beschleunigen. Das alles sind natürlich Probleme einer sehr fernen Zukunft, und die Menschen dieser Epochen müssen mit ihnen fertig werden, und sie werden sie lösen. Ich habe sie erwähnt, weil ich beobachtet habe, daß der Prozeß des Entstehens neuer Schwierigkeiten in einem Augenblick, indem sich uns neue Gebiete des Lebens erschließen, charakteristisch für den Fortschritt ist… Das ist alles, was ich sagen wollte.“
Goobar legte die Kreide weg.
„Möchte jemand eine Frage stellen?“ erkundigte er sich und blickte in den Saal. Er versuchte vergebens, den Kreidestaub von den Fingern zu wischen.
Bereits vor dem Ende des Vortrages hatten sich zahlreiche Zuhörer vor die erste Sesselreihe gedrängt. Nun verließen alle ihre Plätze und strömten durch die Gänge zur Tafel, als zöge die Kette der beinahe unleserlich geschriebenen Formeln sie zu dem Podium hin. Trehub ging an mir vorüber, ohne mich zu sehen. Er bewegte die Lippen, als wollte er etwas sagen, aber er brachte keinen Ton heraus.
Ich beobachtete Goobar. Er war sehr erschöpft, stützte sich mit beiden Händen auf den Tisch. Ich forschte in seinem Gesicht nach einem Zeichen von Triumph über die stolze Leistung, durch die er der Menschheit den Weg in das ganze Weltall öffnete. Aber ich entdeckte nichts dergleichen. Er schaute still auf die regungslosen Menschen hinunter, die sich noch immer schweigend vor ihm drängten. Fast unmerklich stahl sich in seine Züge das gleiche Lächeln, das ich gesehen hatte, als er in der Leere auf dem Panzer der Gea stand und in die Unendlichkeit des Weltenraumes blickte.
Die Stimmung, in die wir nach dem Vortrag Goobars gerieten, ist schwer zu beschreiben. Kaum daß der erste überwältigende Eindruck etwas verblaßt war, wurden bereits ausführliche Berichte durch mächtige Richtstrahler auf die Erde gesandt, die sie allerdings erst zwei Jahre später erreichen konnten. Ein aus allen Kollektiven gebildeter Organisationsrat nahm seine Tätigkeit auf und gab kurz gar auf Richtlinien für die neuen Arbeiten, die mit der Projektierung transgalaktischer Expeditionen zusammenhingen, an die einzelnen Forschungsgruppen. Die Konstrukteure entwarfen neuartige Raketen, die imstande waren, in der von Goobar errechneten Form die kritische Geschwindigkeit zu überwinden. Die Mechanoeuristen arbeiteten an den Plänen für neue Automaten, die zur Lenkung dieser Raketen erforderlich waren. Arbeit gab es für alle Kollektive in Hülle und Fülle. Es war von vornherein klar, daß die Fachleute an Bord der Gea mit ihren immerhin beschränkten Hilfsmitteln nur einen Teil dieser Riesenaufgaben bewältigen konnten. Goobar und die anderen Biophysiker ruhten nicht auf ihren Lorbeeren aus, sondern untersuchten die weiteren Konsequenzen der neuen Theorie.
Das alles geschah mit einer, ich möchte sagen, organisierten Leidenschaft, die mit einem Schlag alle Mitglieder der Expedition gepackt hatte. Gleichzeitig herrschte im ganzen Schiff eine frohe, festtägliche Stimmung. Ein dreistündiger Vortrag hatte uns so viel neue Kraft zur Überwindung der Leere gegeben, daß wir das eisige Dunkel rings um die Gea beinahe nicht mehr bemerkten.
Ich konnte am nächsten Tag ein Lächeln nicht unterdrücken, als ich auf dem Promenadendeck, unserer Sterngalerie, Dutzende von Gefährten sah, die dort wie in den ersten Tagen unseres Fluges, nur freier, ungezwungener, auf und ab gingen, von Zeit zu Zeit stehenblieben, einander auf die entfernten Sternbilder aufmerksam machten und über sie sprachen wie über die Lichter einer fernen Stadt, die sie bald besuchen würden.
Am späten Abend ging ich zu Ter Haar. Der Historiker hatte uns Ameta, Zorin, Nils, Tembhara, Rudelik und mich – zu einem Glas Wein eingeladen, um, wie er sagte, unseren großen Triumph im engeren Freundeskreise zu
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