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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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es eine Weile ganz still im Raum. Dann sagte Tembhara: „Stell dir einen Gegenstand vor, der aus drei geraden Stäbchen besteht, die sich an den Enden berühren. Was für eine Figur ist das?“
    „Ein Dreieck“, antwortete Nils.
    „Richtig. Ein Dreieck entsteht im Augenblick einer solchen Verbindung der Stäbchen untereinander, ohne Rücksicht darauf, ob ich es will oder nicht. Gäbe mir jemand den Auftrag, die Stäbchen auf diese Weise zu verbinden, und erklärte er gleichzeitig kategorisch, daß die entstehende Figur kein Dreieck sei, dann würde ich als Konstrukteur antworten, dies sei eine unlösbare Aufgabe – heute wie in einer Milliarde Jahren. Um nun auf deine Worte zurückzukommen, Nils: Die Antwort hängt davon ab, ob der Tod für das Bestehen des Lebens unbedingt notwendig ist oder nicht.“
    „Wieso unbedingt notwendig? Er ist doch die Negierung des Lebens.“ „Des Einzelwesens – ja. Aber nicht des Lebens der Gattung. Wenn ich mit einem Wort sagen sollte, was der Motor der biologischen Entwicklung ist, dann würde ich erwidern: die Veränderung. Wäre sie nicht, dann hätte das Urplasma bis zum heutigen Tag in der gleichen Form weitervegetiert und nicht den unvorstellbaren Reichtum an Pflanzen und Tierarten hervorgebracht, aus denen der Mensch entstand. Und weshalb ist diese Veränderlichkeit möglich? Weil eine Form der anderen Platz macht und weil in diesem Prozeß von Generation zu Generation kleine, kaum feststellbare, aber in Millionen Jahren merkliche Veränderungen vor sich gehen, die das Entstehen neuer Gattungen und Arten vorbereiten und die ihnen das Leben geben. Mit anderen Worten: Das Verschwinden der ursprünglichen Formen zugunsten der kommenden, das Weichen der einen Generation vor der nachfolgenden – das ist die Erscheinung, die den Namen Tod trägt. Ohne Tod gäbe es keine Veränderung, ohne Veränderung keine Entwicklung, ohne Entwicklung keinen Menschen. Das ist die Antwort auf deine Frage.“
    „Du hast bewiesen, daß die Grundlage für die Entwicklung die Sterblichkeit ihrer Geschöpfe ist“, sagte Nils. „Gut, einverstanden. Wenn auch die Entwicklung keine Unsterblichkeit verleihen kann, vielleicht ist der Mensch selbst dazu imstande?“
    Tembhara schwieg.
    „Und wenn er es könnte“, klang eine Stimme aus einer Ecke des Zimmers. „Selbst wenn er das vermöchte…“
    Wir blickten in den Winkel, aus dem die Worte kamen. Ameta hatte sie gesprochen. Er fuhr fort: „Was ist, was bedeutet das: der Tod? Eine bedrückende, ängstigende Mahnung des Nichts? Das beschämende Bild des Staubes, in den wir uns verwandeln? Das Wissen, daß wir den Kampf mit Himmel und Erde, mit den Sternen auf nehmen, die tote Materie besiegen, um wieder tote Materie zu werden? Ja, all das und noch mehr. Die Gewißheit, daß die Oxyde der Eiweißstoffe, die in unseren Körpern Musik und Lust, Freude und Genuß erzeugen, in Fäulnis übergehen? Ja, natürlich, auch das. Zugleich ist er die Quelle der Erkenntnis, daß jeder Augenblick und jeder Atemzug unschätzbar wertvoll sind, der Befehl, unsere besten Kräfte anzuspannen und zu nutzen, damit wir soviel wie möglich vollbringen, um es denen, die nach uns kommen, überliefern zu können. Er ist aber auch eine stete Erinnerung an unsere unabdingbare Verantwortlichkeit für jede Tat; denn nichts von alledem, was man tut, läßt sich in einem so kurzen Zeitraum, wie es das Menschenleben ist, rückgängig machen oder vergessen. Durch all das lehrt uns der Tod das Leben lieben, am meisten die anderen Menschen, die ebenso sterblich, voll Mut und Angst sind, die ebenso in ihrer Sehnsucht über die Grenzen ihres physischen Daseins hinausstreben und mit Liebe an einer Zukunft bauen helfen, die zu schauen auch ihnen nicht gegeben ist. Gewänne der Mensch Unsterblichkeit, dann müßte er auf das Wertvollste, auf das Gedächtnis verzichten; denn welches Hirn wäre imstande, das Riesenmaß von Erinnerungen zu fassen, dessen Name Unendlichkeit ist? Es müßte die kalte Weisheit und die mitleidlose, unbarmherzige Ruhe der Götter besitzen, an die die Menschen im Altertum glaubten. Wer aber wäre so wahnsinnig, ein Gott werden zu wollen, wenn er Mensch sein kann? Wer möchte wohl ewig leben, wenn er durch seinen Tod anderen das Leben geben kann, wie der Astrogator Songgram? Ich will keine solche Welt. Jeder Schlag meines Herzens ist ein Lob des Lebens, und deshalb sage ich euch: Ich–lasse mir den Tod nicht nehmen.“
Die Sonne des Zentauren
    Professor

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