Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
großen Schirm. Bis an den Horizont erstreckte sich das wallende, wogende Wolkenmeer. Einunddreißig Raketen zogen eine Schleife um unser Schiff. In den Sonnenstrahlen blitzten ihre Seitenwände auf. Dann glitten sie tiefer, wie eine im Raum schwebende, langsam um eine imaginäre Achse rotierende Wendeltreppe.
    Die drei Astrogatoren verfolgten von den Schaltpulten aus die Vorgänge auf dem Bildschirm. Hinter ihnen stand eine sechsgliedrige Verbindungsapparatur. Vor den stereometrischen Leuchtschirmen saßen Techniker mit Kopfhörern. Jeder von ihnen leitete eine der Fünfergruppen, die sich als linsenförmige, mit den Namen der Piloten versehene Kontrollämpchen auf dem Schirm bewegten. Diese Einrichtung ermöglichte es, die Manöver der Raketen auch in und unter den Wolken zu überwachen.
    Der Flug verlief planmäßig. Die Raketen wurden auf ihrer steilen, dreihundert Kilometer langen Bahn immer kleiner. Über der weiten, weißen Fläche hörten sie auf zu kreisen und bildeten Staffeln. Sie huschten nun wie schwarze Nadeln durch leichtgewelltes Leinen, näherten sich ihren Schatten, verschwanden für den Bruchteil einer Sekunde, tauchten in einem Wolkental wieder auf und schienen von neuem hochzufliegen.
    Als ich in den Bildschirm starrte, spürte ich hinter meinen Schultern die unmittelbare Nähe der Gefährten, die ebenso gespannt waren wie ich. In den sonnenbeschienenen, endlosen Wolkenfeldern, deren Weiß die Augen blendete, öffnete sich ein von Federwolken durchflochtener, dunklerer Raum. Die erste Staffel folgte der großen, unbemannten Rakete, die auf diese Stelle zusteuerte. Am Rande des dunklen Flecks türmte sich eine dichtgeballte Wolkenwand, im Schatten grauschwarz wie wasserüberspülter Schiefer, im Sonnenlicht blendend silberhell. Die Spitze der ersten Staffel durchstieß die Wand und raste auf der anderen Seite weiter; es sah aus, als hockten die Raketen auf den eigenen Schatten. Ich schaute in den oberen Teil des Bildschirms. Das luftleere All war, wie immer, eine schwarze, sternenübersäte Fläche. Als ich meinen Blick wieder den Wolken zuwandte, war das „Auge“ bereits in ihnen verschwunden. Die Rücken der Einmannraketen schimmerten sekundenlang durch das flaumige Weiß wie Fische im Gischt eines Gebirgsbaches, huschten über eine Wolkenuntiefe und waren nicht mehr zu sehen.
    Die nächsten fünf neigten ihren Bug. Da zerriß ein weitverästelter Blitz die Wolken. Die Gefährten im Steuerraum schrien auf. Die fünf Raketen rasten weiter, glühten wie Meteore. Ihre Motoren arbeiteten noch, aber auf den stereometrischen Karten erloschen die Namen Borel, Sent, Antoniadi, Ingwar, Uteneut, als hätte ein Windstoß das Licht der Kontrollämpchen ausgeblasen. Was eine Sekunde zuvor noch Raketen gewesen waren, die lebende Menschen in sich bargen, das erleuchtete die brodelnden Wolken mit dem grellen Schein schmelzenden Metalls, als hätte eine feurige Hand fünf fallenden Sternen ihre Bahn vorgezeichnet.
    Vom ersten Aufblitzen bis zum Ende der Katastrophe waren vielleicht zwei Sekunden vergangen. Wie vom Blitz getroffen, standen wir vor dem Bildschirm. Nur das eintönige Ticken des Radars unterbrach die furchtbare Stille. Die zweite Staffel näherte sich bereits der Gefahrenstelle. Die Verbindungstechniker hatten ihr zwar befohlen, sofort umzukehren; aber Raketen können nicht im Bruchteil einer Sekunde stoppen. Bevor es den Piloten gelang, die Geschwindigkeit so weit zu drosseln, daß sie wenden konnten, befanden sich die Raketen bereits in der Zone der Vernichtung. Zwei Astrogatoren, Grotrian und Pendergast, kontrollierten das zentrale Schaltbrett. Zwei Hände streckten sich gleichzeitig nach dem schwarzen Hebel des Desintegrators aus. Ein Druck, und die Gea hätte Kaskaden von Antiprotonen in den Raum geschleudert, die in ihrer Energieentfaltung einer Sonnenprotuberanz gleichkommen. Diese gewaltige Strahlenlawine wäre imstande gewesen, die unbekannte Kraft, die unsere Gefährten vernichtet hatte, ganz gleich, welchen Ursprungs sie war, aufzuheben. Die blitzartige Entladung, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortpflanzt, hätte den Raketen zuvorkommen, ihnen den Weg frei machen können. Wenn sie den Ort der Katastrophe erreichten, war dort nichts mehr, nur leerer Raum. Eine abgeschossene Ladung kann aber nicht aufgehalten werden. Die entfesselte Energie von achthundert Trillionen Erg durchschlägt die Atmosphäre wie ein Blatt Papier und trifft auf die Oberfläche des Planeten. Diesem

Weitere Kostenlose Bücher