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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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der Kontrolle eines Expeditionsmitgliedes unverzüglich mit den Bauarbeiten beginnen. Der Rat der Astrogatoren ist übereingekommen, diesen verantwortlichen Posten dem Mechanoeuristen Zorin zu übertragen, da er allseitig polytechnisch ausgebildet ist und große Erfahrungen in der Einrichtung kosmodromischer Stationen besitzt.“
    Als der Astrogator geendet hatte, bemerkte ich, daß Anna, die einige Reihen vor mir saß, auf stand und durch die Seitentür den Versammlungsraum verließ. Zorin schritt durch den Mittelgang nach vorn und betrat das Podium. Das Raunen, das bei den letzten Worten Ter Akonians durch die Reihen gegangen war, verstummte. Nach den Regeln der interplanetaren Raumschiffahrt darf ein Mensch nicht allein auf einer kosmischen Station sein, er muß mindestens einen Gefährten zur Seite haben. Zorin sollte nun einen unter uns auswählen. Wir wußten, daß er längst entschieden hatte, wen er mitnehmen wollte: trotzdem waren alle gespannt, als er seinen Blick über die Reihen gleiten ließ.
    Plötzlich schlug mein Herz rascher. Unsinn, dachte ich, dich hat er nicht vorgesehen… Wer war ich schon für Zorin? Ein Mitglied der Expedition, beinahe ein Fremder… Ja, wenn Ameta.
    Die Köpfe hoben sich kaum merklich, um dem Blick des Piloten zu begegnen, und senkten sich wieder, wenn er über sie hinwegglitt. Eine Woge gespannter Erwartung lief durch den Saal. Dann ruhte sein Blick auf mir, und zwar so fest und eindringlich, daß ich unwillkürlich aufstand.
    „Bist du einverstanden?“ drang die Stimme des Ersten Astrogators wie aus weiter Ferne an mein Ohr.
    „Ja, ich bin einverstanden“, antwortete ich.
    Zorin und Goobar sprachen mit den Astrogatoren. Die anderen sprangen auf, umringten das Podium. Ich ging auf den Korridor hinaus. Er war still und leer. Ich spürte weder Erregung noch Stolz oder Freude. Gedankenverloren, ziellos schlenderte ich weiter. Plötzlich blieb ich stehen. Meine Beine hatten mich von selbst in den Vorraum des Philharmoniesaales getragen. Ich stand vor der Statue Soledads, vor dem weißmarmornen Knaben auf dem Wege in seine Zukunft. Acht Jahre lagen hinter uns – und was für Jahre! Die Zeit verstrich langsam in der Gea, aber nur die Uhrzeit, nicht die der Ereignisse. Um wieviel älter war ich seit unserem Abflug von der Erde geworden. Dieser weiße, junge Mensch hatte sich nicht geändert – sein Blick war noch immer in die Zukunft gerichtet. Sinnend betrachtete ich ihn. Endlich wandte ich mich ab, entfernte mich einige Schritte, sah noch einmal zurück, als wollte ich Abschied von ihm nehmen. Das Herz zog sich mir zusammen, als ich auf einmal an Anna dachte. Wohin war sie gegangen?
    Ein Fahrstuhl brachte mich hinunter in den Garten. Ich sah Anna schon von weitem. Sie saß im Gras, in dem zahllose Vergißmeinnicht blühten. Ameta hatte die Blumen im Gras geliebt. Blumen im Zimmer sah er nicht gern. „Wenn man Blumen um sich haben will“, hatte er immer gesagt, „dann muß man zu ihnen gehen.“ Anna berührte die Blüten mit ausgebreiteten Händen – wie eine Blinde. Ich näherte mich behutsam und blieb hinter ihr stehen.
    „Du bist es…“, sagte sie leise. Es war keine Frage. Ich kniete neben ihr nieder. Wenn uns jemand sah, dann fand er den Anblick gewiß komisch–zwei erwachsene Menschen, die wie Kinder im Gras knieten. Ich wollte das lastende Schweigen brechen, brachte aber kein Wort heraus. Ich küßte die Fläche ihrer kleinen Hand und spürte die feinen Verhärtungen an ihren Fingern, dort, wo sie häufig mit den Instrumenten in Berührung kamen.
    „Warst du bis zum Schluß bei der Versammlung?“ fragte sie.
    „Ja.“
    „Zorin?“
    „Ja.“
    „Und du?“
    „Ja.“
    Sie schwieg.
    „Hast du zu Hause weitergehört?“ fragte ich.
    „Nein.“
    „Woher weißt du es dann?“
    Sie hob den Kopf. „Ich habe es mir gedacht. Du nicht?“
    „Nein“, antwortete ich erstaunt.
    Sie lächelte. „Du merkst es immer als letzter.“
    Ich sah, wie schwer Anna dieses Lächeln fiel. Plötzlich wandte sie ihr Gesicht ab. Als sie mich wieder anblickte, war sie beherrscht und ruhig. Schweigend verließen wir den Garten.
    In der Nacht fuhr ich aus tiefem Schlaf auf. Die Ereignisse des Tages waren sofort lebendig. Im nächsten Augenblick war ich hellwach. Die blaßviolette Nachtlampe brannte. Durch den Glasschirm fielen ein paar bläuliche Lichtflecke auf das Kopfkissen. Sie sahen aus wie verwelkte Vergißmeinnichtblüten. Anna lag auf dem Rücken und starrte mit weit

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