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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Arbeiten, und Zorin bat mitunter die Kollegen, ihm bei schwierigen Berechnungen zu helfen.
    Die Gea hielt Kurs auf den weißen Planeten und war noch zwei Flugwochen von ihrem Ziel entfernt. In dieser Zeit wollten wir die Hauptarbeiten an den Fundamenten für den künftigen großen Atommeiler, der den provisorischen ersetzen sollte, abschließen. Regelmäßig kontrollierten wir die Arbeitsstellen –    es waren mehr als zehn –, die auf einer Fläche von einigen Quadratkilometern verstreut lagen. Dann begaben wir uns, ohne in die Druckkammer –    wir sagten „nach Hause“ – zurückzukehren, auf einen längeren Spaziergang.
    Da wir jeden Tag eine andere Richtung einschlugen, lernten wir bald die Umgebung kennen. Diese Miniaturausgabe, diese Karikatur eines Planeten war ein einziger, ungeheurer Felsen. Ich erwähnte bereits, daß er von weitem wie ein im Sternenraum schwimmender Bergrücken aussah. Deshalb erweiterte sich einmal der Horizont, der den Wanderer umgab, auf einige Kilometer, einmal verengte er sich plötzlich, jäh, fast ohne Übergang. Im Nordosten, dreißig Kilometer von unserer Unterkunft entfernt, endete die verhältnismäßig flache, felsige Ebene in einem Felssturz, einem Trümmerfeld sonderbarster Formen. Bis an den Horizont breitete sich die erstarrte Steinlawine aus. Es waren keine Geröllhalden wie auf der Erde, es war kein Bild der Arbeit des Wassers, des Windes, der Schwerkraft, sondern ein Panoptikum grotesker Gebilde. Steinkeulen balancierten aufeinander, riesige, scharfgezahnte Gesteinsblöcke hielten sich in schwebendem Gleichgewicht, senkrecht aufstrebende Felsnadeln bildeten unüberwindliche Verhaue, Steinkloben warteten nur auf eine unvorsichtige Bewegung, um langsam und träge, wie im Zeitlupentempo, hinunterzurollen. Kletterte man auf einen Vorsprung des Grates, der die Ebene von diesem Felssturz abgrenzte und die ganze Umgebung überragte, dann hob sich der Urwald scharfkantiger Skelette mit hartem, weißem Glanz gegen den nachtschwarzen Hintergrund des Firmaments ab. Über dieser todesstarren Landschaft zog die Sonnenkugel ihre ewig gleiche Bahn.
    Zorin erinnerte manchmal in seinem Benehmen an das Klima dieses Asteroiden. Häufig schwieg er stundenlang, als hätte er die Sprache verloren, mitunter hielt er, scheinbar ohne jeden Anlaß, lange Monologe. Einem Außenstehenden wäre unser Zusammenleben vielleicht nicht gerade als das beste vorgekommen; aber mit diesem Urteil hätte er sich sehr geirrt! Höflich und normal gesprächig war Zorin nur bei Fremden. Zu mir verhielt er sich ebenso wie früher in der Gesellschaft Ametas. Sein manchmal teilnahmslos scheinendes Schweigen, das tiefe Nachdenken, die kurzen, mürrischen Antworten und Andeutungen freuten mich. Obgleich wir niemals über Ameta sprachen, ja nicht einmal seinen Namen nannten, war er doch zugegen. Häufig spürte ich seine Gegenwart so stark, daß ich versucht war, mich umzudrehen und zu sehen, ob er unser Staunen, unsere Bewunderung teilte, wenn wir auf einer Wanderung eine noch phantastischere Stelle dieser verzauberten Felslandschaft entdeckten.
    Eines Abends, ungefähr zehn Tage nach unserer Ankunft auf dem Planetoiden, saßen wir auf dem Gipfel einer Felsnadel, die sich hoch über die Umgegend erhob. Die Sonne sank bereits, von einem wirren Strahlenkranz flammender Protuberanzen umgeben, dem westlichen Horizont zu. Die Sonne A näherte sich der Schwester als kleine, blendend helle Scheibe. Wir waren auf diesen Felsen geklettert, um die Verfinsterung der einen Sonne durch die andere zu beobachten. Als die kleine Scheibe die große beinahe berührte, sandten beide feurige Arme aus, die sich zu suchen schienen und endlich ineinanderflossen, wodurch ein sonderbares, birnenförmiges Gebilde entstand, das ein mächtiges, stahlblaues Licht ausstrahlte. Der schmale, verlängerte Teil dieser Birne schrumpfte allmählich ein. Die Sonne A verschwand hinter der großen Scheibe der Sonne B, aber die Lichtintensität wurde kaum geringer. Wir schwiegen lange. Schließlich bat ich Zorin: „Erzähle mir ein Märchen.“ Er schien mich nicht gehört zu haben. Erst geraume Zeit später antwortete er: „Ein Märchen werde ich dir nicht erzählen, aber etwas über Märchen. Hast du schon einmal von den Schwefelwracks gehört?“
    „Ich kann mich nicht erinnern.“
    „Du mußt davon gehört haben. Vor ungefähr zweihundert Jahren wurden die ersten automatischen Lastraketen gebaut. Man konstruierte gleich sehr große

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