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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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kommen und die Antenne reparieren. Als ich an das Steuerpult gehen wollte, war mir plötzlich klar, daß die Automaten gar nicht kommen konnten: Die Funkverbindung war ja gestört. Ich hätte sie rufen sollen, gleich nachdem Zorin zurückgekehrt war. Das hatte er wohl gemeint, bevor er das Bewußtsein verlor. Tags zuvor war der Sender noch halbwegs intakt gewesen, aber in der Aufregung hatte ich alles vergessen. Im ersten Augenblick zitterten mir die Knie, aber kurz entschlossen schritt ich durch unseren Wohnraum der Schleuse zu. Da rief mich Zorin leise an. Er war wieder bei Bewußtsein. „Ist die Sendung schon vorüber?“ fragte er. „Was gibt es Neues?“
    Ich wollte ihm nicht die Wahrheit sagen. Im übrigen würde die Funkverbindung morgen wieder in Ordnung sein. Ich rekonstruierte die Mitteilungen aus den Bruchstücken, die ich gehört hatte. Gleich darauf schlief Zorin ein. Ich schlich so leise wie möglich in den Nebenraum, legte den Schutzpanzer ab, zog den Skaphander an, schloß den Helm und war im Begriff, die Ausgangsschleuse zu öffnen. Da hielt mich ein Gedanke zurück: Was geschieht, wenn ich nicht wiederkomme, wenn ich zugrunde gehe? Dann bleibt Zorin hilflos, blind, unfähig, sich zu bewegen, allein zurück! Nein, das durfte ich ihm nicht antun! Hastig zog ich den Skaphander aus, legte den Panzer wieder an und kehrte in unseren Wohnraum zurück.
    Das war am zweiten Tag. Am dritten versagte die Funkverbindung völlig. Ich erdachte alle Mitteilungen. So war es nun jeden Abend. Ich mußte es tun, denn Zorin schlief erst dann ein, wenn er die Meldungen der Gea von mir gehört hatte. Einmal fragte ich, weshalb er nicht gleich nach dem Unfall kehrtgemacht habe.
    „Wärst du zurückgekommen?“ entgegnete er und blickte mich so vielsagend an, daß ich alles begriff.
    Er hatte sofort gewußt, daß es keine Rettung für ihn gab. Deshalb war er weitergegangen, in den Bunker, und hatte halb blind die Sicherungen der Automaten ausgeschaltet. Deshalb wollte er nicht, daß ich ihm Blut spendete. Ich zapfte es mir insgeheim ab und behauptete, ich hätte Reserven für besonders dringende Fälle. Am vierten Tag konnte ich mich kaum noch auf den Beinen halten und fürchtete, ohnmächtig zu werden. Wahllos schluckte ich alle Stärkungsmittel, die ich zur Hand hatte. Mitunter hielt ich, halb bewußtlos vor Ermattung und Schlafbedürfnis, flüsternd Selbstgespräche und flehte mein Knochenmark an, rascher Blut zu erzeugen – als könnte ich dadurch meinen Organismus zwingen, Unmögliches zu leisten.
    Wenn ich in die Funkkabine hinaufging, dachte ich: Du darfst einen Sterbenden nicht belügen, das ist nicht länger zu ertragen. Heute sage ich ihm, daß die Antenne zerstört ist… Aber wenn ich wieder bei ihm war und sah, daß er seine erblindeten Augen, dem Klang meiner Schritte folgend, mir zuwandte, daß er gespannt auf die Mitteilung wartete, daß sein früher so starker Körper kraftlos zitterte – dann vermochte ich es nicht, sondern fügte den alten Lügen neue hinzu.
    An den nächsten acht Abenden erzählte ich ihm, die Gea näherte sich dem weißen Planeten, große, seltsam gestaltete Raumschiffe kämen ihr entgegen, und die unbekannten Wesen verständigten sich durch Übersetzungsautomaten mit unseren Gefährten. Während ich das berichtete, nahm die Dichte des Meteorschwarms zu, als wollte der Weltraum alle in ihm geborgenen Massen von totem Gestein und Eisen auf uns werfen. Ein unablässiges Beben durchlief die Wände, die Gegenstände, unsere Körper. Alles schwankte. Und unter den spasmatischen Stößen erzählte ich Zorin meine Märchen von der hohen Zivilisation dieser Wesen, von ihrer Erschütterung, als sie die Reste der zerstörten Raketen untersuchten und ihren Irrtum erkannten.
    Zorin hatte kein Fieber mehr, so sehr war sein Organismus bereits geschwächt. Ich wußte, daß ich ihn nicht retten konnte. Nach allen ärztlichen Erfahrungen und Erkenntnissen hätte er zwei Tage nach dem Unfall sterben müssen. Er lebte weiter, und ich weiß heute noch nicht, was ihn aufrecht gehalten hat, mein Blut oder meine Lügen. Wahrscheinlich die Lügen. Wenn ich bei ihm saß, seine Hand hielt und meine Märchen erzählte, dann veränderte sich sein Zustand. Ich spürte deutlich, daß sein Puls kräftiger, voller wurde, daß die Muskeln seines großen, starken Körpers sich spannten. Bei meinem letzten Wort sank er wieder in die Erstarrung. Am siebenten Abend konnte er nur noch trinken. Ich bereitete ihm auf dem

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