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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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über ihn voll Bewunderung, konnte aber auf einige Nadelstiche nicht verzichten. „Ja“, sagte sie einmal, „Goobar ist ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Er ist aber viel weniger erträglich, als seine Genialität erfordert.“
    Frau Dshakandshan erzählte mir auch einige recht amüsante Anekdoten über den Mathematiker Kjeun, den zerstreutesten Menschen an Bord der Gea. Er hat zum Beispiel die Angewohnheit, zu einem Gedanken, den er nicht vergessen will, eine Melodie zu summen. Meistens schwinden aber die Worte aus seinem Gedächtnis, und nur die Melodie bleibt übrig, die er bei dem vergeblichen Versuch, sich zu erinnern, immer falscher und lauter vor sich hinsingt. Gewöhnlich begleitet ihn ein kleiner Automat, der wie ein Hund hinter ihm herläuft, alle Sachen sammelt, die Kjeun verliert, und sich merkt, wo der Mathematiker diese oder jene Notizen oder Gegenstände hingetan hat.
    In der Absicht, Herr der Lage zu werden und das richtige Verhältnis zwischen Arzt und Patienten wiederherzustellen, schlug ich Frau Dshakandshan vor, sich einer hormonalen Regeneration des Organismus zu unterziehen, um ihre Volleibigkeit loszuwerden. Sie lachte mir ins Gesicht. „Regeneration? Unter deinem Taktstock?“ rief sie, als ihr Lachen verstummt und ihr voller Busen zur Ruhe gekommen war. „Meine Drüsen spielen seit siebzig Jahren falsch. Ich denke, sie werden es noch einmal solange machen.“
    Anna sah ich in jenen Tagen, das heißt nach der Operation, nur bei den gemeinsamen Visiten am Krankenlager unseres Gastes vom Ganymed oder im Ambulatorium, wenn sie mich ablöste. Sie hatte wenig freie Zeit; denn sie war dem Kollektiv der Biologen beigetreten. Außerdem waren wir bestrebt, uns ohne „offiziellen Anlaß“ nicht zu treffen.
    Der junge Pilot – er heißt Pjotr – war endlich aus seinem tiefen Schlaf erwacht. Wie Schrey vorausgesagt hatte, war sein Gedächtnis vollständig geschwunden. Er lag nach wie vor reglos in einem Einzelzimmer und starrte mit großen, blauen Augen teilnahmslos die Decke an. Ich wurde die Befürchtung nicht los, daß er zeit seines Lebens ein Idiot bleiben würde, sprach aber mit niemandem darüber.
    Auf der Gea gab es wenige Menschen wie mich – Menschen, die beinahe nichts taten. Meinen zeitweiligen, im Grunde sinnlosen Dienst im Ambulatorium konnte man beim besten Willen nicht Arbeit nennen. Zu meiner Kategorie gehörten noch die Piloten und einige Künstler. Allerdings waren die Künstler nur scheinbar beschäftigungslos, und zwar deshalb, weil sich ihr Schaffen keiner planmäßigen Zeiteinteilung unterwerfen läßt. Vormittags, wenn in den Laboratorien und Arbeitsräumen gearbeitet wird, kann man einem Musiker oder Videoplastiker im menschenleeren Park begegnen, den er scheinbar zweck- und ziellos durchstreift. Das sind aber meistens seine schöpferischen Stunden. Erst nach dem Essen bevölkerten sich die Erholungsräume, der Garten und das Promenadendeck. Um die Wissenschaftler, die die Ergebnisse ihrer Versuche und Forschungen besprachen, bildeten sich Gruppen interessierter Zuhörer. Meinungen über die letzten Nachrichten von der Erde wurden ausgetauscht. Allerdings waren die neuesten Meldungen mehr als einen Monat alt, bevor sie unser Schiff erreichten; aber daran hatten wir uns bereits gewöhnt. Ich bemerkte, daß es sich bei vielen eingebürgert hatte, ein Steinchen aus dem Bach oder von den Wegen und Felsen in der Tasche zu tragen. Häufig begegnete ich Menschen, die, während sie sprachen, lasen oder spazierengingen, mit heimlicher Freude ein Steinchen, einen Splitter irdischen Granits, zwischen den Fingern drehten.
    Eines Tages besuchte ich Nonna. Dieses hochtalentierte Mädchen liebte es, aus einem eigenartigen Widerspruchsgeist heraus, als verschroben zu gelten. Ameta charakterisierte sie jedenfalls ausgezeichnet, als er einmal zu ihr sagte: „Am liebsten möchtest du, daß man behauptet, du seiest nur mit uns geflogen, um dir an der Sonne des Zentauren eine Zigarette anzuzünden.“
    Sie empfing uns in ihrem neu eingerichteten Wohnzimmer, Wir glaubten, in einem ausgehöhlten Diamanten zu sein. Der Fußboden war eine vielstrahlige Rosette, die Decke ein Spitzgewölbe, das von den schrägen, dreieckigen, keilförmigen Wänden gebildet wurde. Der Tisch und die Sessel waren aus durchsichtigen Kristallblöcken geformt, die keine Konturen zu haben schienen. Nur ein Gerüst aus dunklem Holz in ihrem Innern deutete durch den Verlauf der geometrischen Linien die konstruktive

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