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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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obwohl alle es wußten. Sie dachten wohl das gleiche wie ich: Sie werden ihre Gründe haben. Durch einen Zufall kam ich hinter das Geheimnis. Eines Morgens erschien ein junger Mathematiker bei mir und klagte mir sein Leid. Er hatte eine sehr komplizierte Berechnung mit Hilfe des zentralen Elektronenhirns vornehmen wollen; aber Ter Akonian schlug ihm die Bitte, es benutzen zu dürfen, mit der Begründung ab, daß die Apparatur überlastet sei.
    „Was sind denn das für Arbeitsbedingungen!“ beschwerte sich der junge Mann. „Das ist ja ein Leben, schlimmer als in der Urzeit. In der Steinzeit hatte wenigstens jeder seinen Griffel und konnte mit ihm Rechnungen in die Steine kratzen, soviel er wollte. Steine gab es im Überfluß. Und heute? Da behauptet man, daß wir hier auf dem Schiff alles haben, was wir brauchen…“
    Den Nachmittag verbrachte ich bei Ter Haar. Ich traf eine größere Gesellschaft bei ihm an, unter anderen zwei Mitarbeiter Goobars, den Biophysiker Diokles und den Mathematiker Smur. Diokles ist ein schwarzhaariges, dunkeläugiges Männchen, das eine, ich möchte sagen, ständig besorgte, unruhige Beweglichkeit kennzeichnet. Er sieht aus, als hätte er eben etwas verloren und bemerkte nun diese unangenehme Tatsache. Smur kam mir, wohl wegen des auffälligen Gegensatzes der beiden, unglaublich ruhig vor; er schien immer die Situation zu beherrschen, in deren Labyrinthen sein kleiner Kollege sich verlief. Er erzählte uns von Goobar. Ich hörte ihm gespannt zu; denn er war ein guter Erzähler und hatte einen gesunden, trockenen Humor. Unter anderem erklärte er uns, weshalb manche Studenten für Goobar sind, während andere ihn nicht ausstehen können. „Wenn Goobar“, sagte er, „mit dem Bewußtsein liest, daß er seinen Hörern unbekannte und schwierige Dinge vorträgt, dann ist er ein schlechter Dozent. Er zieht die Worte in die Länge, wiederholt sich, stockt – es wirkt geradezu peinlich. Der Vortrag aus einem Lehrbuch wäre besser. Wenn er dagegen mit innerer Anteilnahme und Leidenschaft spricht, dann schwindet dieser, seiner Natur fremde, langsame Fußgängerschritt – oder besser schneckengleiche Fluß – seiner Schlußfolgerungen und wird durch die ihm eigene Art des Überspringens von einem entlegenen Punkte der Beweisführung zu einem noch entfernteren ersetzt. Den Weg zum Gipfel der dargestellten Theorie bewältigt er mit einigen weiteren Gedankensprüngen, und es gehört allerhand Scharfsinn dazu, ihm zu folgen.“
    „Das ist doch ganz einfach“, sagte Smur. „Von einer Gemse kann man nicht verlangen, daß sie, wenn sie die Felsen erklimmt, mit einem Fußgänger Schritt hält. Wenn sie sich aber trotzdem bemüht, so langsam zu gehen wie er, dann wird sie unaufhörlich Dutzende unnötiger Bewegungen machen – vorlaufen, Zurückbleiben, warten. Ihren aufgezwungenen, langsamen Bewegungen fehlt jene Schönheit und Kraft, die man nur bei ihrem Lauf, bei ihren blitzschnellen, kühnen Sprüngen bewundern kann.“
    Einer der Anwesenden gab die Anekdote zum besten, daß keiner, nicht einmal Goobar selbst, seine neu aufgestellten Theorien begreift. Er allein versteht sie bei der zweiten Wiederholung. Den gewöhnlichen Sterblichen unter den Fachleuten beginnt erst beim achten- oder neuntenmal etwas aufzudämmern. Wir lachten vergnügt und verständnisinnig. Das Gespräch glitt auf ein anderes Thema über. Kurz darauf fiel wieder der Name Goobar. Ich sagte, daß wir uns unter einem Genie im allgemeinen einen älteren Menschen vorstellen, Goobar sei aber alles andere als das. Die erste Begegnung mit ihm könne für einen, der ihn nie zuvor gesehen habe, eine große Überraschung sein. Nach dieser Bemerkung wandte ich das Gesicht vom Licht ab und versuchte, mir Goobar vorzustellen. Ich brachte es nicht fertig. Nur der unregelmäßige, wie durch einen jähen Ruck gebildete Mund und die unter der vorspringenden Stirn liegenden Augen waren mir im Gedächtnis haftengeblieben. Ich war nicht der einzige, der solche Gedanken hatte, denn jemand aus unserer Runde fragte plötzlich: „Welche Farbe haben seine Augen?“
    Keiner der Mitarbeiter Goobars konnte antworten.
    „Seht ihr!“ rief der Frager triumphierend, als wäre ihm der Beweis für die Richtigkeit einer von ihm nicht ausgesprochenen These geglückt.
    Als ich mich von Ter Haar verabschiedete, war es bereits spät. Ich war im Begriff , meine Wohnung aufzusuchen, da erblickte ich in einem tiefen Winkel der Atomschutzwand, die sich hier

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