Gauck: Eine Biographie (German Edition)
verwies, dass bei den Stasizuarbeitern »[…] der Grad der Hilfsbereitschaft sehr unterschiedlich war und dass man oftmals auch spürt, dass hier nur aus Angst oder einer Drucksituation heraus mitgearbeitet wurde. Man kann da sehr wohl unterscheiden.« Ein anderes Mal sagte er: »[…] auch die Inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi können nicht pauschal als Täter abgestempelt werden, denn unter ihnen gab es nicht wenige Menschen, die immer Gegner des SED -Regimes gewesen waren und die nur aufgrund besonderer Druck- und Krisensituationen ihre Unterschrift gegeben oder ja zu einer Mitarbeit gesagt haben. In jedem Einzelfall ist daher sorgfältig zu untersuchen, warum wer was der Stasi berichtet hat.« Als 1991 bei der Berliner Straßenreinigung ( BSR ) achtundsechzig durch ihre Stasivergangenheit belastete Straßenkehrer mit der Begründung entlassen wurden: »Wir sind ein sauberes Unternehmen, wollen unseren guten Ruf nicht verlieren«, protestierte Gauck bei einer Podiumsdiskussion gegen dieses pauschale Vorgehen und erklärte, dass durch die Aufarbeitung der Stasivergangenheit die Bürger der ehemaligen DDR neues Vertrauen in den öffentlichen Dienst gewinnen sollten. Gauck weiter: »Ich akzeptiere aber nicht, dass eine ›saubere Straßenreinigung‹ dabei herauskommt.« 317
Privatier
Ich werde unangemessen geliebt, und ich werde unangemessen gehasst.
Joachim Gauck
Es hat mir dazu verholfen, ein Stück näher zu mir zu kommen, zu meinen Gefühlen, auch zu meiner verdeckten, verborgenen Trauer über ein Leben in Unfreiheit.
Joachim Gauck über sein Buch
»Winter im Sommer – Frühling im Herbst«
Freunde
Mit seinem Ausscheiden aus dem Amt gewann der Sechzigjährige ein großes Stück privater Freiheit zurück. Mal wieder plattdeutsch schnacken und die Familie besuchen, ohne sich hetzen zu müssen. Zeit für Gartenarbeit in Wustrow: Rasen mähen, Früchte ernten, Apfelmus und Marmelade kochen. Am Samstag Fußball in der Sportschau gucken. In der Ostsee schwimmen, gern auch ohne Badehose. Mit einem kleinen Segelboot über den Bodden schippern. Zum siebenhundertfünfundsiebzigjährigen Dorfjubiläum nach Lüssow fahren, wo er ein Vierteljahrhundert zuvor seine erste Pfarrstelle angetreten hatte. Mit Burkhard Schliephake und dessen Schwester Heidi in deren Garten oder in der Laube sitzen, die es schon gab, als sie noch Kinder waren. »Er ist ein ganz treuer Freund«, versicherte Heidi Lüneburg, »er geht zu jedem, schnackt mit jedem, besucht alle, wenn er in Wustrow ist.« 318
Gauck liebte es, in Gesellschaft essen zu gehen und Feste zu feiern. Klassentreffen, Geburtstagsfeiern, Familienfeste waren Ereignisse ganz nach seinem Geschmack. Seinen fünfzigsten Geburtstag hatte er noch mit einem Empfang im Rostocker Hotel Warnow gefeiert. Als er sechzig wurde, lud er seine Gäste in die Villa der American Academy ein, direkt am Wannsee in Berlin gelegen. Angela Merkel, damals Generalsekretärin der CDU , kam und reihte sich zwanglos in den Chor von Gaucks Familie und Freunden ein, die einige Choräle für das Geburtstagskind sangen. Jemand hatte Notenblätter mitgebracht. Bevor Gauck zu seiner Feier kam, verzogen sich die Mitglieder des Laienchors in den Keller der Villa, um dort ungestört ihr Ständchen proben zu können.
Zehn Jahre später kam Angela Merkel erneut, jetzt als Bundeskanzlerin, und hielt die Festrede anlässlich der Vorstellung von Gaucks Buch »Winter im Sommer – Frühling im Herbst« in der Repräsentanz des Bertelsmann Verlages Unter den Linden. Die dabei waren, sprachen von einer großen Nähe zwischen Jubilar und Laudatorin. Die Kanzlerin wich bei ihrer Rede von ihrem Manuskript ab und erzählte auch sehr Persönliches von sich selbst. »Man hätte eine Stecknadel fallen hören können«, berichtete einer der Gäste. Danach blieb Angela Merkel viereinhalb Stunden auf der Feier und mischte sich unter die Gäste, als wäre sie hier zu Hause.
In diesen Tagen feierte Gauck auch seinen siebzigsten Geburtstag, diesmal im Gebäude der Evangelischen Kirche Deutschlands am Berliner Gendarmenmarkt. Wieder wurde gemeinsam gesungen. Gaucks ehemaliger Rostocker Amtsbruder, Arvid Schnauer, hatte ein Lied für das Geburtstagskind getextet: »Jetzt kommen die siebzig Jahre, sechzig ade«. Gaucks Schwester Marianne hatte zu diesem 319 Anlass eine private Festschrift in einer Miniauflage für ihren Bruder produziert, mit Beiträgen von Freunden und Prominenten wie dem südafrikanischen Erzbischof und
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