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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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bemerkenswertes Stehvermögen. Kein anderer Behördenchef stand in den neunziger Jahren so in der öffentlichen Kritik, die oft die Grenze zur Anfeindung überschritt, wie der Leiter der BStU . Viele andere an seiner Stelle hätten vorzeitig aufgegeben und wären vom Amt des Bundesbeauftragten zurückgetreten. Gauck hielt zehn Jahre lang ohne sichtbare Blessuren durch. 314

Mängel der Stasiaufarbeitung
    Der Bundesbeauftragte löste seine schwierige Aufgabe also gut. Unabhängig davon gab es aber bei der Aufarbeitung der Erblast der Staatssicherheit auch eklatante Mängel zu beklagen. Der erste war, dass man nach der Wende die »Kleinen hängte und die Großen laufen ließ«. Die Tätigkeit als IM wurde im vereinigten Deutschland jahrzehntelang in hunderttausenden von Fällen verfolgt und mit Sanktionen belegt. Hauptsächlich dadurch, dass der Betreffende seinen Arbeitsplatz verlor oder indem man ihn gesellschaftlich ächtete. Die politisch für das flächendeckende Spitzelsystem verantwortlichen SED -Funktionäre mussten dafür keine Verfolgung befürchten. Joachim Gauck war sich über dieses Defizit bei der Vergangenheitsbewältigung vollkommen im Klaren. »Von heute aus betrachtet wäre es politisch wohl eher angemessen gewesen, die Führungselite der SED gleichzustellen mit den Stasioffizieren und den IM . Ich finde es bedauerlich, dass Mitglieder von SED -Kreis- und Bezirksleitungen sowie des Zentralkomitees nach der Wiedervereinigung weit bessere Karrierechancen hatten als der kleine IM . Das stellt die Fürsten von einst unverdientermaßen besser als die Bauern – ein politischer Fehler.«
    Schon als Volkskammerabgeordneter und mehrfach danach hatte Gauck eine strafrechtliche Verfolgung der alten SED -Eliten gefordert, sich damit aber nicht durchsetzen können. Ende 1991 unterstützte er einen umstrittenen Vorschlag aus dem Bürgerrechtslager für diejenigen SED -Politiker, die in besonderer Weise für das DDR -Unrechtsregime verantwortlichen waren, ein Tribunal zu schaffen. Wer für die schlimmen Folgen der DDR -Diktatur verantwortlich gewesen sei, argumentierte Gauck, dem müsse dies auch bescheinigt werden. Auch wenn eine solche Feststel 315 lung strafrechtlich nicht relevant sei, müsse sie im Bewusstsein der Bürger den gleichen Wert haben wie ein Urteil in einem Strafprozess. Gedankliches Vorbild dieses Vorstoßes waren sogenannte » Wahrheitskommissionen «, wie die Rettig-Kommission in Chile oder die Vorläufer der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika. Mit dieser Idee blieben Gauck und die Initiatoren allein.
    Das zweite Problem war die unterschiedliche »Verfolgung« der IM in der Bundesrepublik und in der DDR . Auch den westdeutschen Staat hatte die Stasi intensiv bearbeitet. Während frühere Schätzungen von bis zu dreißigtausend IM ausgingen, die für das MfS in der Bundesrepublik tätig gewesen sein sollten, wird derzeit eine Größenordnung von nur dreitausend für möglich gehalten. Zuständig für die IM in der Bundesrepublik war die Hauptverwaltung Aufklärung ( HVA ) des MfS . Im Gegensatz zu allen anderen Teilen des Ministeriums für Staatssicherheit hatte der Zentrale Runde Tisch der DDR der HVA am 23. Februar 1990 erlaubt, sich selbst aufzulösen. In der Folge wurde deren Aktenbestand fast vollständig vernichtet. Das war der Hauptgrund, warum es später nur in Ausnahmefällen gelang, IM , die in der Bundesrepublik tätig gewesen waren, zu enttarnen. Auch dieser Ungerechtigkeit versuchte Gauck, so gut er konnte, entgegenzuwirken. Etwa indem er im Oktober 1991 vorschlug, dass sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages freiwillig auf eine mögliche Zusammenarbeit mit dem ehemaligen MfS überprüfen lassen sollten. Das brachte dem damaligen Sonderbeauftragten viel Unmut ein, weil viele Parlamentarier seinen Vorstoß als Zumutung empfanden. Auch in diesem Punkt gelang es Gauck nicht, sich durchzusetzen.
    Ein weiterer Mangel im Umgang mit dem Stasi-Erbe war, dass in nicht wenigen Fällen allein aufgrund der Eti 316 kettierung als IM durch die Arbeitgeber Kündigungen ausgesprochen wurden, ohne dass die gebotene Einzelfallabwägung stattfand. Also ob der Betreffende persönliche Schuld auf sich geladen hatte, ob er vielleicht von der Stasi erpresst worden war, als IM tätig zu werden, oder ob er denjenigen, über die er berichtet hatte, Schaden zugefügt hatte. Der Bundesbeauftragte wandte sich regelmäßig gegen eine pauschale Verurteilung von IM , etwa indem er darauf

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