Gauck: Eine Biographie (German Edition)
ihm gesagt hätte: »Herr Amthor, Sie haben Ihr ganzes Leben lang Schuld abzutragen, die Sie auf sich geladen haben. Und auch Ihre Enkel werden davon betroffen sein!« Gauck weiß um dieses Element seines Charakters und gibt sich Mühe, es unter Kontrolle zu halten. Gelegentlich bricht es dennoch bis heute in ihm durch. 74
Dasselbe galt für seinen Bruder Eckart, bei dem dieser Wesenszug noch sehr viel deutlicher zutage trat. Bei einer Firmenfeier, bei der viel Alkohol floss, titulierte Eckart seinen damaligen Chef in der ungehemmten Art, die schon seinen Vater ausgezeichnet hatte, als »Stasischwein«. Er wurde daraufhin entlassen. Nach einer Lehre zum Automechaniker hatte Gaucks Bruder eine Ausbildung zum Schiffsingenieur machen können. Die angestrebte Karriere als Chief, also als leitender Schifffahrtsingenieur, blieb ihm jedoch verwehrt. Als er sich bei seiner Reederei um den Posten bewarb, wurde er gefragt, ob er denn schon in der Partei sei. Eckart verneinte, er fühle sich für diesen wichtigen Schritt noch nicht reif. Es war die Antwort, die viele in der DDR gaben, wenn sie gefragt wurden, ob sie nicht der SED beitreten wollten. Dann, so die Antwort der Vorgesetzten von Eckart Gauck, müsse er wohl weiter als zweiter oder dritter Ingenieur fahren. Joachim Gauck schrieb dazu in seinen Erinnerungen: »Mein Bruder Eckart war der, der er war. Er machte die Tür von draußen zu. So einer wurde kein Chief.«
Bei der Erziehung seiner eigenen Kinder sollte Joachim Gauck auf dieselben Muster zurückgreifen, die sein Erzeuger an ihn weitergegeben hatte. Gaucks ältester Sohn Christian beschrieb das Verhältnis zu seinem Vater: »Meine Rolle war: Ich bin der Sohn vom Pastor […] man musste einfach funktionieren. Da wurde nicht über Gefühle geredet.« Noch als Fünfzigjähriger beklagte Christian, dass sein Vater ihm damals wie gepanzert vorgekommen sei: »Elterliche Liebesbezeugungen, die gab es bei uns selten. Das höchste der Gefühle war mal eine Hand auf die Schulter.« 75
Berufswahl im SED -Staat
Als es um das Studium und die Berufswahl ging, ließ der Arbeiter-und-Bauern-Staat Joachim Gauck und seine Geschwister spüren, dass man sich von ihnen mehr Zustimmung zur SED und zum Sozialismus erwartet hätte. Jetzt rächte sich die Distanz der Familie Gauck zum Staat. Joachim Gauck war in der Schule zwar aufmüpfig, aber kein Hasardeur gewesen. Das sollte er nie werden, nicht in der Schule und auch nicht in späteren Jahren. Er war ein begabter Schüler, dem der Lehrstoff zuflog und der 1958 ohne Probleme sein Abitur machte. Die meisten Fächer bestand er mit der Note »gut«, in seinen Paradedisziplinen Sport und Deutsch bekam er eine Eins.
Die Sprache war seine Begabung, schon damals. Zeitweilig träumte er davon, Dichter zu werden. Vielleicht auch inspiriert durch den eigenen Vater, der 1951 im Gefängnis Gedichte geschrieben hatte und diese gern vortrug, wobei ihm alle andächtig und mit Bewunderung zuhörten. Doch das Dichten war nur eine Schwärmerei des Abiturienten: »Ich spürte meine Grenzen.« Am liebsten hätte er seinen Fähigkeiten entsprechend Germanistik studiert, um Journalist zu werden. Doch dazu hätte er in der Vergangenheit nicht Jugendweihe und FDJ -Beitritt verweigern dürfen. So einer taugte nicht für das »Rote Kloster«, wie die Kaderschmiede für Journalisten an der Universität Leipzig im Volksmund genannt wurde. Sein Schuldirektor bemängelte, dass der Schüler »ein besseres Verhältnis zur gesellschaftlich nützlichen Arbeit gewinnen müsse«. Dabei hatte Joachim Gauck doch im Schulchor gesungen und an den von allen Schülern geforderten »sozialistischen Arbeitseinsätzen« teilgenommen. So etwa an »der Bergung der Kartoffelernte 1957«. Es half ihm nichts. Der Abiturient befände 76 sich aufgrund der früheren Internierung des Vaters »im Stadium kritischer Auseinandersetzung mit der Umwelt«, urteilte der Direktor, was ja auch stimmte. Gaucks Bewerbung für einen Studienplatz in der Fachrichtung Germanistik und Geschichte mit dem Wunschberuf Lehrer wurde abgelehnt.
15 Der Abiturient kurz vor der Eheschließung
Genauso ging es seiner Schwester Marianne, der nach dem Abitur ein Sprachenstudium verweigert wurde. Sie landete zunächst als technische Assistentin beim Wetterdienst. Durch große Hartnäckigkeit gelang es ihr später auf Umwegen, doch noch am Lateinamerikanischen Institut in Rostock »Lateinamerikanistik« zu studieren. Sabine, die ebenfalls Lehrerin werden
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