Gauck: Eine Biographie (German Edition)
die Chance. Quasi illegal, ohne das Wohnungsamt zu fragen, zogen sie in das frei gewordene kleine Kellerzimmer. Obwohl es kein Bad hatte, sondern nur ein Waschbecken und zudem wenig Tageslicht, waren sie glücklich, ihr eigenes Reich zu haben. 1962 kam Martin, ihr zweiter Sohn, zur Welt.
In seinen Erinnerungen beschrieb Joachim Gauck seine Ehe Jahrzehnte später als unglücklich. Schon als Schüler seien er und seine Frau sehr gegensätzlich gewesen: »Ich war extrovertiert, frech, oppositionell, häufig lernunwillig und faul. […] Sie war introvertiert, schüchtern, ängstlich, mochte nicht auffallen, war diszipliniert und fleißig.« Gaucks Schwestern hatten, jedenfalls zu Beginn der Ehe, einen anderen Eindruck und nahmen diese als durchaus glücklich war. Marianne Gauck meinte, dass es mit der Beziehung schon alles seine Ordnung gehabt habe. Und Sabine Gauck, die oft als Babysitterin auf ihre beiden Neffen Christian und Martin aufpasste, beobachtete: »Er war schwer verliebt, ein glücklicher junger Mann. Die mochten sich sehr.« Joachim Gauck selbst relativierte später die Aussage in seiner Autobiographie ebenfalls, indem er die ersten Jahre der Beziehung zu seiner Frau als »symbiotisch« charakterisierte. »Wir haben sehr lange geglaubt, dass das das einzig Richtige ist.«
Die Probleme in der Ehe begannen erst im weiteren Verlauf seines Studiums, als er daran um ein Haar gescheitert wäre. Wie sich bald herausstellen sollte, war er damals nicht 84 in der Lage, die selbstgewählte Rolle als »Beschützer« und richtiger Kerl, der seine Familie ernährt, auszufüllen. Er blieb dabei weit hinter seinen eigenen Ansprüchen zurück. 85
Der lange Weg zu Gott
Es hat gedauert und gedauert.
Marianne Gauck über das
Studium ihres Bruders
Irgendwie war ich nicht der Typ eines Pastors. Schließlich sah ich so schlecht nicht aus, ging gerne aus, war dem weiblichen Geschlecht zugetan und trieb viel Sport.
Joachim Gauck
Theologiestudium
Nach dem Abitur stellte sich die Frage: Was nun? Große Wahlmöglichkeiten hatte der Abiturient nicht. Der einzige Studiengang, der ihm problemlos offenstand, war Theologie. Aber war er für ein Leben als Pastor geboren? Zwar hatte er sich seit Jahren in der Jungen Gemeinde engagiert und sich in dem Klima, das dort herrschte, wohlgefühlt. Aber reichte das, um Theologe zu werden? Der Vater war strikt dagegen. Pastor gehörte zu den Berufen, die er für seine Kinder von vornherein ausschloss, obwohl er persönlich nach seiner Rückkehr aus Sibirien inneren Zugang zur Kirche gefunden hatte. Er stellte sich etwas Besseres für seinen Nachwuchs vor. Joachim Gauck selbst hatte große Zweifel, entschied sich aber schließlich – zusammen mit sechs anderen seiner achtundzwanzig Klassenkameraden –, ein Theologiestudium zu beginnen. »Mein Weg zur Theologie war in der DDR nicht ungewöhnlich«, erklärte Gauck seine Studienwahl, »vor und nach mir haben sich viele aus ähnlichen Motiven für diesen Beruf entschieden.« Tatsäch 86 lich entsprang die Entscheidung mehr der Alternativlosigkeit als der inneren Neigung. Dass er später Pastor werden und von der Kanzel das Reich Gottes verkünden könnte, schloss er zu diesem Zeitpunkt aus: »Dafür kam ich mir viel zu weltlich vor.«
Schon bald nach Studienbeginn traten massive Leistungsprobleme auf. Sich diszipliniert Tag für Tag an seinen Schreibtisch zu setzen und dicke Bände über Kirchengeschichte zu wälzen entsprach nicht Gaucks Wesen. Aktenstudium, Verwaltungsarbeit und ähnlich ermüdende Tätigkeiten wurden nie zu seiner Leidenschaft. Die Vorlesungen über dialektischen und historischen Materialismus – auch für Theologiestudenten Pflichtfach in der DDR – zogen ihn genauso wenig an wie die Hebräisch-Seminare. Und statt abends im Alten Testament zu blättern, ging er lieber zum Handballtraining und danach mit seinen Sportkameraden noch ein Bier trinken. Mit einigen Kommilitonen hatte der engagierte Sportler im Rahmen der Hochschulsportgruppe seiner Universität einen Handballverein ins Leben gerufen, ein Engagement, das ihn viel Zeit kostete. Die Tatsache, dass er schon bald zwei Kinder hatte, trug gleichfalls nicht dazu bei, seinen Studieneifer zu beflügeln. Christoph Stier, ein Kommilitone, der sein Theologiestudium ein Jahr später begonnen hatte, konnte sich nicht erinnern, dass Joachim Gauck am studentischen Leben teilgenommen hatte.
Bald erlahmte der Studieneifer des jungen Vaters, der ohnehin nie groß gewesen
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