Gauck: Eine Biographie (German Edition)
wollte, wurden nach dem Abitur die Antragsformulare für ein Studium von ihrer Schule verweigert. Eine ihrer Lehrerinnen kommentierte das: »So jemanden wie Sie brauchen wir nicht an der Hochschule.« Sabine Gauck versuchte ihr Glück daraufhin mit einer 77 Bewerbung an der Humboldt-Universität in Berlin, die ein eigenes Zulassungssystem hatte. Tatsächlich wurde sie dort für das Lehramtsstudium in den Fächern Deutsch und Englisch angenommen.
Bald darauf war sie die Erste in der Familie Gauck, die die DDR verließ. Im Sommer 1965 hatte sich Sabine Gauck in den Patensohn ihres Vaters verliebt, der aus Hamburg zu Besuch nach Rostock gekommen war. Im Herbst wusste sie, dass sie schwanger war. Für ihre Eltern war die Nachricht ein Schock. In Berlin auf sich allein gestellt, mit einem kleinen Kind, schien die Bewältigung des Studiums kaum möglich. Hinzu kam, ein uneheliches Kind war in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts noch ein Makel, ein Fleck auf der weißen Weste einer bürgerlichen Familie. Das musste vermieden werden. Sabine hätte sich durchaus vorstellen können, in der DDR zu bleiben und ihr Kind allein großzuziehen. Doch Olga Gauck kannte nur ein Ziel, wie sich Sabine erinnerte. »Meine Mutter hat alles getan, um mich in geordnete Verhältnisse zu bringen.« Resolut ergriff die Mutter die Initiative und sorgte dafür, dass Ihre Tochter mit der Unterstützung des immer hilfsbereiten Schwagers, Gerhard Schmitt, ausreisen konnte, um den Vater ihres Kindes zu heiraten. Schmitt, mittlerweile Generalsuperintendent von Ost-Berlin, ließ seine Nichte auf die Ausreiseliste der evangelischen Kirche setzen. Anfang Mai 1966 durfte Sabine die DDR verlassen. Weil sie durch die Bundesrepublik freigekauft worden war, galt das als legale Ausreise, mit der Folge, dass sie danach jederzeit wieder in die DDR zurückkehren durfte. Das nutzte Joachim Gaucks jüngste Schwester regelmäßig, wodurch sie auch nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik ein enges Verhältnis zu ihrem Bruder und dessen Frau Hansi pflegen konnte. 78
Eine Schülerliebe
In der neunten Klasse hatten sich zarte Bande zwischen Joachim Gauck und einer Klassenkameradin gebildet. »Es gab ein Klassenfest mit ersten schüchternen Freundlichkeiten, unendlich vorsichtig und fragend.« Das Mädchen hieß Hansi Radtke und war vierzehn Jahre alt, genau wie er. Hansis Eltern hatten ihrer Tochter den zweiten Vornamen Gerhild gegeben, um deutlich zu machen, dass es sich nicht um einen Jungen handelte. Es half nichts. Als sie zur Schule kam, steckte man sie zunächst in eine reine Jungenklasse, bis die Lehrer bemerkten, dass es sich um ein Mädchen handelte. Bis heute kommt es wegen ihres Vornamens zu Missverständnissen.
Nach Gaucks Erinnerungen war Hansi Gauck nicht unbedingt ein schönes, sondern eher ein »apartes« Mädchen mit einer ganz eigenen Anziehungskraft. Sie war durch ihre persönlichen, außergewöhnlichen Lebenserfahrungen früher gereift als ihre Schulkameradinnen und »dem jugendlichen Übermut schon entwachsen«, wie Joachim Gauck es empfand. »Sie wollte mit mir über Bücher und Gedichte sprechen. Das hat auch mich ernsthafter gemacht.« Warum die beiden Schüler damals ein Paar wurden, erklärt sich für den Bundespräsidenten heute ganz unkompliziert: »Ich wollte eine Freundin haben, so war das.« Gauck hat verschiedentlich selbst darauf hingewiesen, dass er in einer »Macho-Zeit« groß geworden sei, in der es galt, Stärke zu demonstrieren und die anderen zu beeindrucken. Er war der Überlegene und Tonangebende in dieser Beziehung und durfte sich als Beschützer dieses »scheuen Wesens« fühlen. Im Gegenzug erhielt er ihre Bewunderung und Zuwendung, Geschenke, die für den Jugendlichen nicht alltäglich waren.
16 Hansi Radtke, die erste große Liebe 79
Gegen Ende ihrer Schulzeit waren Joachim und Hansi immer noch ein Paar und waren sich sicher: Wir wollen heiraten. Die beiden Oberschüler begannen, für Eheringe zu sparen. Jeden Monat legten sie fünf Mark dafür zurück. Hansi Gauck trägt ihren bis heute. Aus der Schülerliebe wurde eine lange Ehe, die formal bis heute besteht und aus der vier Kinder hervorgehen sollten. Die Eltern des angehenden Bräutigams waren entsetzt über den Plan ihres Sohnes und strikt gegen die frühe Heirat. Zu jung sei der Bräutigam mit neunzehn, grummelte der Vater, und noch sei er nicht in der Lage, eine Familie zu ernähren. Das war nicht der wahre Grund. In der DDR wurde früh
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