Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Andererseits handelt es sich auch nicht um ein Krankheitsbild im engeren Sinne des Wortes, welches den Betreffenden außer Stande setzt, beispielsweise seinen Lernpflichten nachzukommen.« Der Bericht endet mit der Ermutigung: »Wir halten ihn auch gegenwärtig für durchaus in der Lage, den Studienpflichten nachzukommen.«
Nach Abschluss der Behandlung lud Onkel Gerhard Schmitt seinen Neffen nach Berlin ein, damit dieser sich dort unter seiner Aufsicht und Kontrolle nun endlich auf die Abschlussprüfung vorbereitete. Gaucks Mutter fragte besorgt bei ihrer Schwester Gerda nach: »Was macht mein Sohn, ist er fleißig? Gerhard soll nur ja gut aufpassen und energisch antreiben, damit nicht wieder alles auf die letzte Minute geschoben wird. Nun ist ja gottlob auch die Olympiade vorbei, so dass er sich nun wirklich und konzentriert auf die Arbeit stürzen kann.« Mit Ach und Krach schaffte Joachim Gauck schließlich doch noch sein Examen. Ein damaliges Fakultätsmitglied: »Er hat das Examen erst im dritten Anlauf bestanden. Man hatte ihm gesagt, dass es sich dabei um eine Generalprobe handle. Da hat er es dann geschafft. In den achtunddreißig Jahren meiner Universitätslaufbahn war das der einzige Fall dieser Art, den ich erlebt habe.« Im August 1965, nach vierzehn Semestern, hielt Joachim Gauck erleichtert sein Abschlusszeugnis mit der Gesamtnote »genügend« in der Hand. Ob er Pastor wer 90 den sollte, wusste er aber auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Dem Wehrdienst entronnen
Wie gering Gaucks Begeisterung für sein Studium war, zeigte sich auch, als er 1962 durch das Wehrkreiskommando Rostock-Stadt aufgefordert worden war, sich mustern zu lassen. Der Student versuchte gar nicht erst, sich mit Hilfe der Kirche und dem Argument, er sei angehender Pastor, vor der Musterung und der drohenden Einziehung zu drücken. Auch die Tatsache, dass die Wehrpflichtigen in der DDR in der Regel nicht in der Nähe ihres Heimatorts stationiert wurden, schreckte den jungen Familienvater, der in diesem Jahr seinen zweiten Sohn bekam, offensichtlich nicht. Der durchtrainierte Handballer wurde gemustert und für tauglich befunden, als Mot.-Schütze in der Nationalen Volksarmee seinen Dienst zu tun. Gauck über seine damalige Motivlage: »Ich dachte, ach, das könnte doch reizvoll sein, sich als Theologiestudent einziehen zu lassen. Ich hatte ja damals noch überhaupt nicht die Absicht, mal Pastor zu werden. Aber als Christ unter den Soldaten aufzutreten, das war für mich durchaus ein attraktiver Gedanke. Die wunderten sich, dass ich überhaupt zur Musterung erschien. Danach geschah allerdings gar nichts, und ich wurde nicht eingezogen.«
Im November 1965, nach Abschluss seines Studiums, sollte Gauck dann doch zur Volksarmee eingezogen werden. Er bat um Freistellung vom Dienst für die Dauer seiner weiteren Ausbildung bis zum zweiten Examen. Handschriftlich vermerkte ein Mitarbeiter beim Rat der Stadt Rostock, wo der Antrag einging: »[…] wird behandelt wie jeder andere Wehrpflichtige. Freistellung wird von uns nicht be 91 fürwortet.« Dennoch wurde Gaucks Antrag stattgegeben. Jahre später, mittlerweile war er fünfunddreißig Jahre alt, ein gestandener Pastor und Vater von drei Kindern, befand die Volksarmee es für erforderlich, ihn erneut mustern zu lassen. Diesmal verweigerte sich Gauck der Aufforderung, indem er ein ärztliches Attest vorlegte, wonach er nicht dienstfähig sei. Gauck erinnerte sich: »Wir haben alle Rückenprobleme in unserer Familie. Ich ließ mich damals von einem befreundeten Arzt untersuchen, seine Diagnose war nach meiner Erinnerung Morbus Scheuermann.«
West-Berlin
Schon als Schüler hatte sich Joachim Gauck von Berlin angezogen gefühlt wie von einem Magneten, vor allem vom »lauten, wilden und sündigen« Westteil der Stadt. Als er Student war, fuhren er und seine Frau regelmäßig in die Hauptstadt der DDR und von dort mit der S-Bahn nach West-Berlin. Bis zum Mauerbau 1961 war das für DDR -Bewohner problemlos möglich. Hier lebte die Tante seiner Frau Hansi, bei der das Paar manchmal übernachten durfte. Eine noch wichtigere Anlaufstelle war die Wohnung seines Cousins Gerhard im bürgerlichen Stadtteil Wilmersdorf. Gerhard Schmitt war 1957, zusammen mit seiner Freundin Jutta, heimlich aus dem Elternhaus in Güstrow abgehauen und nach West-Berlin übergesiedelt. Dort hatte er ein Musikstudium aufgenommen und lebte zusammen mit Jutta und einem amerikanischen Pärchen in einer Wohngemeinschaft in
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