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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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nicht fertig, das zweite Examen stand bevor. Aber er hielt im Status eines Hilfspredigers bereits Gottesdienste, erteilte Konfirmandenunterricht und Christenlehre. Eine Woche vor Weihnachten wurde er in einem Gottesdienst offiziell in sein Amt eingeführt. Nach 98 neun langen Jahren der Ausbildung hielt er endlich seine Ordinationsurkunde in den Händen. »Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes ist der Predigtamtskandidat Joachim Gauck am 17. Dezember 1967 in der evangelisch lutherischen Kirche zu Lüssow unter Fürbitte der Gemeinde und Auflegung unserer Hände zum Amt der Kirche ordiniert worden. Die Ordination fand mit dem Wort der heiligen Schrift Jeremia 15,16 statt.«
    Die bedeutendsten Gebäude des landwirtschaftlich geprägten Ortes waren das Gutshaus und die beeindruckende, überwiegend aus Feldsteinen errichtete Kirche, in der Joachim Gauck in den nächsten drei Jahren jeden Sonntag um zehn Uhr Gottesdienst hielt. Zu seiner Landgemeinde gehörten noch zwei weitere Gotteshäuser, in denen er zusätzlich einmal im Monat am Nachmittag predigte. Das Pfarrhaus, in das die Familie zog, war zwar groß, aber heruntergekommen. Es hatte uralte Fenster und Holzböden, Kohleheizung und ein Plumpsklo – im Pfarramtsübergabeprotokoll als »doppelsitziger Eimerabort« bezeichnet. Fließendes Wasser gab es nicht; das musste mit einer Pumpe, die in der Küche stand, ins Haus gepumpt werden. Gekocht wurde auf einem mit Propangas betriebenen Herd. Anfangs gab es kein Bad, so dass die Familie sich in der Küche auch waschen musste. Das riesige Gebäude stand den Gaucks nicht allein zur Verfügung. Mit im Haus wohnten eine Pfarrerwitwe mit Kind, eine Flüchtlingsfamilie und eine leicht debile Rentnerin. Auch der fünfzig Quadratmeter große Gemeindesaal war darin untergebracht.
    Hier fanden Konfirmandenunterricht und Christenlehre statt; im Winter, wenn die Temperaturen in der Kirche unerträglich wurden, auch der Gottesdienst. Außer der Familie Gauck lebten noch zwei Witwen in dem Haus, eine davon mit ihrem Sohn; schließlich hintereinander zwei Ka 99 techetinnen, die die Kinder in den Dörfern der Kirchengemeinde in Christenlehre unterrichteten.
    Gaucks eigene Kinder, Christian, Martin und Gesine, waren von ihrem Zuhause begeistert. Für Christian war es das »wunderschöne Lüssow«, in dem er »die schönsten Jahre« verbrachte. »Wir waren eine allseits akzeptierte Familie. Es war wie im Paradies. Wir wohnten in einem riesigen Pfarrhaus mit großem Garten und einem kleinen Fluss dahinter und alle 14 Tage kam unser Opa zu Besuch, um den Garten zu pflegen.« Die Religion war ein selbstverständlicher Bestandteil des Familienlebens, und natürlich wurde beim gemeinsamen Essen ein Tischgebet gesprochen: »Komm Herr Jesu und sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast«. Abends, vor dem Schlafengehen beteten die Kinder noch einmal.
    Auch jetzt noch quälten den jungen Landpastor Zweifel, ob er den richtigen Berufsweg beschritten hatte. Hinzu kam naturgemäß die Unsicherheit des ungeübten Berufsanfängers. Er versuchte, dieses Defizit durch ein forsches Auftreten zu kompensieren, eine Strategie, die er schon als Junge gern verfolgt hatte. Der Pfarrer paffte Zigaretten, trug Lederjacke und knatterte mit seinem Dienstmotorrad über die holperigen Straßen und Wege seiner Kirchengemeinde, die vierzehn Dörfer umfasste. Dass er damit auffiel, insbesondere bei seinen weiblichen Gemeindemitgliedern, kam keinesfalls ungelegen. Ruth Kriewall, die von Gauck damals getraut wurde, war nicht die Einzige, auf die der attraktive Pfarrer »schon einen gewissen Eindruck« machte.
    Gottesdienste, Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten und Jugendabende, es herrschte kein Mangel an Arbeit. Auch die Begegnung und der Umgang mit dem Tod gehörten nun zu seinem Leben. Arbeitsalltag für einen erfahrenen Pastor. Neu und erschütternd für den gerade ordinierten 101 Jungpastor. Ein Bräutigam verunglückte auf dem Weg zu seiner Hochzeit tödlich und Gauck musste der Braut, statt sie zu trauen, die schreckliche Nachricht überbringen. Ein siebzehnjähriges Mädchen aus seiner Gemeinde beging Suizid. Ein ebenfalls aus seiner Gemeinde stammender junger Mann kam während seines Militärdienstes unter ungeklärten Umständen zu Tode. Über solche Fügungen des Schicksals, in denen Gauck gefordert war, den Betroffenen zur Seite zu stehen und Trost zu spenden, wuchs er langsam in den Beruf des Seelsorgers hinein.

    18  Mit

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