Gauck: Eine Biographie (German Edition)
Treffen sehr stark theoretisch im theologischen Bereich verlief.« Der OV »Kontakt« verlief im Sande und wurde schließlich archiviert.
Vermutlich 1974, das genaue Datum ist den Akten nicht zu entnehmen, leitete die Stasi unter dem Decknamen »Gauckler« eine »Operative Personenkontrolle« gegen Gauck ein. Das war sozusagen die erste Stufe der »Feindbekämpfung«, die regelmäßig einem Operativen Vorgang vorausging. Von diesem Zeitpunkt an wurde Gauck permanent durch das Ministerium für Staatssicherheit überwacht, und alle erreichbaren Informationen über ihn wurden archiviert. Das Ziel der Maßnahme war, »feindlich-negative Handlungen« des Pastors frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. »Gauckler« trat nach Beobachtung der Geheimpolizisten regelmäßig »politisch negativ in Erscheinung«. Aus den Berichten und Analysen des MfS ergibt sich zweifelsfrei, dass Joachim Gauck dem SED -Staat vom Beginn seiner Überwachung bis 1988, als seine Akte geschlossen wurde, kritisch gegenüberstand.
Zu keinem Zeitpunkt war er auch nur im Ansatz dazu bereit, sich der SED oder gar der Staatssicherheit in irgendeiner Form anzudienen. Die Stasi dokumentierte es: »Im Mai 1974 bezeichnete G. die Regierung der DDR als Clique, die gemeinsam mit dem MfS und der NVA das Volk unterjocht.« Einen Monat später berichtete ein IM , dass auf einer Veranstaltung, an der Gauck teilgenommen hatte, über die angebliche »Diskriminierung« der Bürger in der DDR gesprochen wurde. Gauck bezeichnete dabei diese Diskriminierung als »schwarze Pest« und gab allen Teilnehmern »Anregungen« für die Bekämpfung der Diskriminierung in der Republik. Wiederum einen Monat später berichtete ein Informant, dass der kritische Pastor »alle Leute hoch schätze, die […] gegen das sozialistische System […] 109 ankämpfen« und »dass bei der Staatsicherheit nur ›Pack‹ und ›Gesindel‹ beschäftigt ist und eben diese Leute, […] für ihn das Allerletzte bedeuten«. So ging es weiter mit Joachim Gauck und dem Ministerium für Staatssicherheit. Jahr für Jahr. Gauck zog gegen die Staatspartei und ihre Geheimpolizisten mehr oder weniger heftig vom Leder. Der Stasikrake dokumentierte es ausführlich in den über ihn angelegten Akten.
Rostock-Evershagen
Am 12. Dezember 1971 hielt Gauck seinen letzten Gottesdienst in Lüssow. Nach knapp fünf Jahren zog es ihn zurück in die Stadt zur nächsten, größeren Aufgabe. Anfang 1972 übernahm er im neu errichteten Plattenbauviertel in Rostock-Evershagen den Aufbau einer evangelischen Gemeinde. »Ich wollte an die Front, wo gekämpft wird«, erklärte Gauck seinen Wechsel vom Dorf in die Stadt später. Die Aufgabe wies Parallelen zu der eines Missionars auf. Der neue Pastor trat sein Amt an einem Ort an, an dem das Christentum kaum eine Rolle spielte. Tatsächlich sprach Joachim Gauck Jahrzehnte später von seinem »missionari-schen Ansatz«, der mitbestimmend dafür war, dass er sich für die neue Aufgabe entschieden hatte. In seiner Autobiographie schrieb er dazu: »In einer solchen Terra incognita die Arbeit aufzunehmen erforderte Entschlossenheit, Offenheit, Durchhaltekraft. Ich habe diese Reise angetreten mit großer Begeisterung, mit Freude und Neugier und vor allem mit dem festen Willen, die Herausforderung zu meistern.« Hinzu kam sein Ehrgeiz, persönlich voranzukommen und sich einen Namen innerhalb seiner Landeskirche zu machen. Um dieses Ziel zu erreichen, war die Bereitschaft, in eines der neuen Wohngebiete zu ziehen, die in diesen 110 Jahren im Norden und Nordosten von Rostock buchstäblich aus dem Boden gestampft wurden, ein erfolgversprechender Ansatz.
Rostock, die Bezirkshauptstadt im Norden der DDR , wuchs aufgrund ihres prosperierenden Überseehafens in den sechziger Jahren um vierzigtausend Einwohner auf über zweihunderttausend an. Vor allem Arbeiter der nahe gelegenen Warnow-Werft bekamen in den in Plattenbauweise errichteten Neubaugebieten eine Wohnung zugeteilt. Die Kirche folgte den Zehntausenden von Menschen, die hierherzogen, und baute in den entstehenden Stadtteilen neue Kirchengemeinden auf. Der Engpass waren dabei Pastoren, die bereit waren, in diese christliche Einöde zu gehen und die erforderliche Missionsarbeit zu leisten. Mehrere Kandidaten, die von der evangelischen Landeskirche gebeten worden waren, nach Evershagen zu gehen, hatten zuvor dankend abgewunken. Sie fürchteten die Frontarbeit in diesen Trabantenstädten, in denen die Kirche für die neu
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