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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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Gläubigen zu, wenn er vom »Volk, das im Dunkeln wandelt« sprach. Seine Kirchengemeinderätin Rosemarie Albrecht nahm ihn als kontaktfreudigen Pastor war, der auf seine Gemeinde zuging: »Er interessierte sich für das Schicksal der Menschen seiner Gemeinde und war dann auch selber davon berührt.« Albrecht weiter: »Er äußerte sich sehr frei und verwendete ganz eigene Formulierungen. Das wirkte authentisch, man nahm ihm das ab. Manchmal war er mir in seiner Wortwahl sogar zu drastisch, zum Beispiel wenn er von den ›Roten Tomaten‹ sprach.« Auch Berufskollegen bestätigten diesen Eindruck. »Ich war sehr angetan«, berichtete der damalige Rostocker Studentenpfarrer Christoph Kleemann, der mehrfach Gottesdienste von Gauck besuchte, »sein Name war mir ein Begriff, schon bevor ich ihn kannte. Er predigte sehr frisch, lebendig, bildhaft und war rhe 116 torisch sehr überzeugend. Seine Predigten waren sehr konkret, und er packte auch mal eine kleine politische Spitze hinein.«
    Langsam wuchs die von Gauck aus dem Nichts aufgebaute Gemeinde. 1979 gehörten ihr rund fünfzehn Prozent der zweiundzwanzigtausend Einwohner von Evershagen an. Das waren zu viele Gläubige und zu viel Arbeit geworden, als dass ein Pastor sie noch allein hätte bewältigen können. Am 1. Dezember 1979 bekam Rostock-Evershagen darum einen zweiten Gemeindepastor: Sybrand Lohmann. Der neue Pastor stellte schnell fest, dass die Gemeindemitglieder von Evershagen seinen Amtskollegen nicht nur respektierten, sondern »sogar liebten. […] ich musste mich sehr anstrengen, auf diesen schnell fahrenden Zug aufzuspringen.« Sein neuer Kollege nahm Gauck vor allem die Aufgaben ab, die ihm noch nie sonderlich gelegen hatten. Dazu gehörten etwa Hausbesuche, die Seniorenarbeit und vor allem »Papierkram«. Ein Mitglied von Gaucks damaligem Gemeinderat urteilte: »Von Verwaltung hielt er nichts. Unsere Gemeinde war immer die letzte, die ihren Haushalt einreichte.« Das sollte sich bis zum Ende von Gaucks Pastorenlaufbahn nicht ändern. Noch im November 1989 ließ IM »Robert Müller« die Stasi wissen: »Das Verhältnis zum Verwaltungsapparat der Kirche ist schlecht, was damit zusammenhängt, dass er selber, dass Pastor Gauck die Büroarbeit nur sehr unregelmäßig erledigt und dann auch nur geringe Sorgfalt walten lässt.«

An der Nikolaikirche
    Nach acht Jahren im ungeliebten Plattenbau zog die Familie Gauck 1979 in ein Haus in der Rostocker Altstadt. Dieser Umzug war auch deshalb dringend notwendig gewor 117 den, weil Hansi Gauck in diesem Jahr noch eine Nachzüglerin geboren hatte: Katharina, ihr viertes Kind. Zu sechst in einer fünfundachtzig Quadratmeter großen Wohnung, das ging nun wirklich nicht mehr. Die Immobilie, die die Gaucks bezogen, gehörte der Kirche und lag unmittelbar an der historischen Stadtmauer von Rostock, nur ein paar Meter von der Nikolaikirche entfernt, in der Joachim Gauck konfirmiert worden war. Der Unterschied zur bisherigen Plattenbauwohnung konnte nicht größer sein. Das neue Domizil stammte aus dem Jahr 1734 und war eines der beiden Predigerhäuser der Nikolaikirche, die an den mächti 118 gen Kirchenbau angrenzten. Im Erdgeschoss, in dem auch das Arbeitszimmer des Pastors lag, gab es eine große, zweigeschossige Diele, eine aufwendige Stuckdecke und eine barocke Treppe, die ins Obergeschoss führte. Dort standen der Familie vier Zimmer zur Verfügung. Wie schon in Lüssow wohnten noch weitere Mitarbeiter der Kirche in dem Haus: eine Gemeindemitarbeiterin, zeitweilig auch Theologiestudenten und Vikare.

    21  Das zweite Haus neben der Nikolaikirche war das Domizil der Gaucks
    Die Adresse, An der Nikolaikirche 7, war damals nicht begehrt. Das Viertel war heruntergekommen, und der Krieg hatte hässliche Baulücken im Quartier hinterlassen. Die dreihundert Meter entfernte Petri-Kirche sah aus wie eine Ruine, und ihr dachloser Turmstumpf ragte trostlos aus der Stadtsilhouette heraus. Nach den Kriegszerstörungen war durch die Mangelwirtschaft in Ostdeutschland die Rostocker Altstadt weiter verfallen. Der Scherz der DDR -Bürger über die Erosion ihrer Altbausubstanz – »Ruinen schaffen ohne Waffen« – schien wie für dieses Gebiet erfunden.
    Dessen ungeachtet lebte Gaucks Frau in der neuen Umgebung auf. Vor allem der kleine Garten, der sich hinter dem Haus bis zur Stadtmauer erstreckte, bedeutete für sie pures Glück. Anders als in Evershagen konnten die Gaucks hier im bürgerlichen Sinne nachbarschaftliche

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