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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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Amt des Stadtjugendpastors niederlegen will.« Joachim Gauck meinte zu dieser Interpretation seines damaligen Verhaltens durch die Stasi: »Das trifft so nicht zu. Es gab immer ein Auf und Ab bei den Stadtjugendabenden.«
    Die Reaktion der Stasi auf das Verhalten des von ihr überwachten Pastors war typisch für die Struktur und Funktionsweise der Staatssicherheit. Wo möglich, verbuchte man ein Ereignis gern als eigenen Erfolg, auch wenn dieser völlig unabhängig vom eigenen Wirken eingetreten war. Tatsächlich hatte Gauck sich entschieden, das Amt des Stadtjugendpastors abzugeben, weil ihm die Arbeit neben seinen Tätigkeiten als Gemeindepastor und der Kirchentagsarbeit zu viel geworden war. Ohnehin war es ein Nebenamt, das alle, die es innehatten, nur für eine begrenzte Zeit ausübten.

Die Söhne stellen Ausreisanträge
    Dass Gauck sich 1984 so defensiv zeigte, hatte neben der Drangsalierung durch die Stasi noch einen anderen Grund. Im Frühjahr 1984 sahen seine Söhne Christian und Martin keine Zukunft mehr für sich in der DDR . Beide waren schon verheiratet, und jeder hatte ein Kind. Es war klar, dass der Staat ihnen keine Möglichkeit bieten würde, ein Leben zu führen, in dem sie sich beruflich und privat frei 157 entwickeln konnten. Die Perspektive für ihre Kinder sah nicht besser aus. Zermürbt von dem vergeblichen Kampf, in der DDR ein selbstbestimmtes Leben führen zu können, stellten sie unabhängig voneinander Ausreiseanträge für sich und ihre Familien. Am 26. März 1984 schrieben Gaucks ältester Sohn und seine Frau an die zuständige Behörde beim Rat der Stadt Rostock: »Wir möchten unser Grundrecht gemäß der für die DDR am 23. 3. 1976 in Kraft getretenen internationalen Konventionen über zivile und politische Rechte in Anspruch nehmen und stellen hiermit einen Antrag auf die Ausreise. Da für uns diese Entscheidung feststeht, möchten wir Sie bitten, diesen Antrag zu bearbeiten.«
    Nachdem sie sich zu diesem Schritt entschlossen hatten, wurde es für die beiden Gauck-Söhne noch schwerer. Martin wurde aufgefordert, sich mustern zu lassen. Er teilte der Musterungsbehörde mit, dass er auf keinen Fall einen Fahneneid auf einen Staat leisten werde, den er verlassen wolle, und er würde genauso wenig Dienst mit der Waffe tun. Als Orthopädietechniker habe er fast täglich mit Prothesenträgern zu tun, die im Zweiten oder sogar noch Ersten Weltkrieg Gliedmaßen verloren hätten. Christian verweigerte sein Arbeitgeber, die begonnene Ausbildung zum Orthopädietechniker-Meister fortzusetzen. »Wir bilden keine Leute aus, die Verräter sind und unser Land verlassen wollen«, ließ man ihn wissen. Wutentbrannt kündigte Christian daraufhin seine Arbeitsstelle und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Seine Frau Martina, die beim »Volkseigenen Betrieb Gebäudewirtschaft« in Rostock beschäftigt war, hatte gleichfalls unter Repressalien zu leiden. Christians Wut auf den Staat, der sich mit der Zustimmung zu seinem Ausreiseantrag Zeit ließ, wurde so groß, dass er sich kaum noch beherrschen konnte. Wütend schrieb er Briefe an Partei- und Staatsorgane: »Wir haben es satt, uns ständig mit 158 Plattitüden abspeisen zu lassen.« Er habe den Eindruck, »dass wir systematisch für dumm verkauft werden«.
    Den Staat ließ das kalt. Er ließ die beiden Pastorensöhne schmoren. Ein Jahr und noch ein Jahr und noch eins. Regelmäßig wurden die Brüder von der Abteilung Inneres beim Rat der Stadt vorgeladen, nur um ihnen mitzuteilen, dass man ihre Anträge abgelehnt habe. Wahlweise wurden sie von den Genossen dabei entweder verhöhnt: »Was wollen Sie im Westen? Tennisbälle aufsammeln?« oder bedroht: »Wenn Sie weiter uneinsichtig bleiben und weitere Anträge stellen, fassen wir das als Nötigung der Behörde auf und werden strafrechtlich gegen Sie vorgehen.« Ähnliches erlebten auch andere Ausreisewillige in Rostock. Die zuständigen Mitarbeiter beim Rat der Stadt hatten offensichtlich die Aufgabe, bei den Antragstellern Unsicherheit zu schüren. Martina und Rüdiger Schmidt, die 1986 aus der DDR ausreisten, bekamen zu hören: »Die Zeiten der Völkerwanderung sind vorbei. Wissen Sie überhaupt, wo Sie hinwollen? Ich habe noch den Kapitalismus erlebt. Wir wurden vom Großgrundbesitzer noch mit der Peitsche zur Arbeit angetrieben.« Die Schmidts konnten über diese Agitation nur lachen.
    Den Vater hatten die Söhne im Hinblick auf ihr Vorhaben nicht konsultiert. Sie wussten, dass das zwecklos

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