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Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Gauck: Eine Biographie (German Edition)

Titel: Gauck: Eine Biographie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Frank
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vorsichtig berichteten, um sich künftige Reisegenehmigungen nicht zu verbauen, tat sich Gauck keinen Zwang an und erzählte begeistert über das skandinavische Land, so dass seine Zuhörer seine Empfindungen und Erlebnisse mit ihm teilen konnten. Nach seiner Rückkehr vom zweiten Schwedenaufent 154 halt hielt Gauck bei einem Stadtjugendabend einen Vortrag über die Reise. Mielkes Zuträger vermerkte pikiert: »Sein Bericht war sehr tendenziös. Zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens in Schweden äußerte sich G. sehr lobend und verglich sie mit den Verhältnissen in der DDR , die er dabei ständig herabwürdigte.« Rüdiger und Martina Schmidt, die den Vortrag besucht hatten, waren sich einig darüber, dass Gauck bei der Offenheit, die er an den Tag legte, riskierte, künftig keine Ausreiseerlaubnis mehr zu erhalten. So kam es dann auch.
    Im Oktober 1982 durfte die Familie Gauck zum letzten Mal Westbesuch empfangen. Schon im Januar 1983 – noch vor dem eigentlichen Beginn des Operativen Vorgangs »Larve« – wurde ein von ihnen beantragter Besuch von drei Bundesbürgern nicht genehmigt. Das letzte Fenster zum Westen hatte sich geschlossen. Die Erkenntnis traf Gauck hart. Am 8. Februar 1983 stürmte er wütend in die Sprechstunde des Leiters der Abteilung Pass- und Meldewesen bei der Volkspolizei, um sich über die Ablehnung diverser Anträge auf Einreisen aus der Bundesrepublik zu beschweren. Als der Polizeioffizier ihm mitteilte, dass es an der Entscheidung nichts zu rütteln gebe, reagierte Gauck betroffen. Der Major notierte: Gauck »äußerte, dass er darin ein Politikum sieht und eine Reaktion auf seine Diskrepanz, die er mit den örtlichen Staatsorganen hat«.
    Der Pastor äußerte damals die Vermutung, dass die Ablehnung seiner Anträge im Zusammenhang mit seinen Differenzen mit dem Kirchenreferenten der Stadt Rostock stehe. Der hatte ihn in der jüngsten Vergangenheit mehrfach für den Ablauf kirchlicher Veranstaltungen gerügt. Trotzig kündigte Gauck dem Volkspolizisten an, dass er auch künftig Einreiseanträge stellen werde. Er habe aufgrund seines Berufs viele Freunde in der Bundesrepublik, die ihn besu 155 chen wollten. Künftig werde er seine Frau auffordern, die Anträge einzureichen, dann dürfe den Gesuchen ja wohl nichts mehr im Wege stehen. Der emotionale Auftritt half nichts, der Staat blieb in der Reisefrage hart. Gauck erinnerte sich Jahre später: »Wir konnten das gar nicht deuten, wir wussten nicht, was soll das. Heute würde ich sagen, da war ich nicht sehr clever.« Auch eine im Mai 1984 erneut beantragte Dienstreise nach Schweden wurde verweigert. Ebenso wurde eine von seiner Schwester Marianne beantragte Reise in die Bundesrepublik abgelehnt.
    Ende 1983 zeigten die »Zersetzungsmaßnahmen« der Stasi Wirkung. Gauck war verunsichert. Mittlerweile waren sechsmal Einreiseanträge von Bekannten aus der Bundesrepublik nicht genehmigt worden. Er selbst durfte nicht mehr ins westliche Ausland. Bekannte, die ihm in der Vergangenheit Bücher aus dem Westen mitgebracht hatten, berichteten, dass sie bei ihrer erneuten Einreise in die DDR plötzlich genauestens kontrolliert worden waren. Gauck konnte nicht übersehen, dass er bei der Staatssicherheit in Ungnade gefallen war. Aber obwohl seine Bedrohung durch das MfS geradezu in der Luft lag, ließ er diese nicht zu nahe an sich herankommen, sondern verdrängte sie ein Stück weit. Gauck über eine derartige Situation: »Als wir eines Tages zu einem Besuch bei meinen Eltern aufbrachen, mussten wir nach kurzer Zeit umkehren, weil ich etwas vergessen hatte. Die Haustür stand sperrangelweit auf, und meine Frau meinte sofort: ›Das ist die Stasi, die jetzt sicher über den Boden flüchtet.‹ Ich war mir in diesem Punkt nicht sicher und empfand die Reaktion meiner Frau aus diesem Grund leicht hysterisch – aber sie hatte recht.«
    Gauck reagierte auf die aktuelle Situation, wie er es schon immer getan hatte, wenn es brenzlig für ihn wurde: Für eine Weile hielt er sich mit negativen Äußerungen gegen 156 über Staat und Partei zurück. Zufrieden vermerkte das MfS bald darauf, dass Gauck bei einem »Friedensseminar« im Juni 1984 die Teilnehmer aufgefordert hatte, keine »staatsprovozierenden Fragen« zu stellen. Der Zulauf zu seinen Veranstaltungen, zu Stadtjugendabenden und Friedensgottesdiensten nahm in der Folge merklich ab. Die Stasi notierte dazu in Gaucks Akte: »›Larve‹ wurde politisch-operativ so verunsichert, dass er das

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