Gauck: Eine Biographie (German Edition)
trotz dieser harschen Worte zu einem erstaunlichen Ergebnis. Der MfS -Mann hielt handschriftlich in der Akte »Larve« fest: Es »wurde festgestellt, dass solche Gespräche im beiderseitigen Interesse nützlich sind«. Gauck sei damit einverstanden gewesen, so Portwich, »das Gespräch zu gegebener Zeit fortzusetzen«. Was er nicht schrieb, aber offensichtlich seinen Kollegen und Vorgesetzten in der MfS -Bezirksverwaltung suggerierte, war die Möglichkeit, Gauck eventuell als IM zu gewinnen. Vermutlich versuchte der Stasihauptmann mit dieser Idee von seinem Fehlschlag bei der Anwerbung von Frau Beyer abzulenken.
Portwichs Kollegen in der für Kirchenfragen zuständigen Abteilung XX /4 waren mit weiteren Gesprächen einverstanden. Zugleich warnten sie aber klarsichtig vor Illusionen: »Bei G. handelt es sich um eine negative bis feindliche Person. Diesbezüglich ist auch keine Änderung zu erwarten. Eine Gewinnung zur inoffiziellen Zusammenarbeit ist unter diesem Gesichtspunkt kaum möglich. Es muss davon ausgegangen werden, dass G. sich aus dem Kontakt zum MfS für ihn wertvolle Informationen erhofft und gleichzeitig von seiner Person ablenken will.«
Am 14. November 1985 kreuzten sich die Wege von Gauck und Portwich erneut. Vorangegangen waren Beschwerden des Pastors beim Kirchenreferenten Manteuffel darüber, dass die Stasi mehrfach versucht hatte, Schülerinnen und Schüler als IM s anzuwerben. Jede Partei hatte einen Sekundanten mitgebracht, Portwich einen MfS -Kolle 165 gen, Gauck seinen Vikar. Der Kirchenmann ging sofort auf Portwich los wie ein Stier. Er könne die »Wühlarbeit« des MfS in der Kirche nicht akzeptieren, blaffte er, vor allem wenn die Stasi dabei versuchen würde, Jugendliche für ihre Zwecke einzuspannen. Das MfS habe ein »neurotisches Sicherheitsbedürfnis« und würde sich ständig ungerechtfertigt vergrößern. Das grenzte an eine Beschimpfung der beiden Stasimänner. Die Reaktion von Portwich ist ein interessantes Beispiel dafür, wie einzelne MfS -Mitarbeiter über von ihnen geführte Gespräche mit dem Ziel berichteten, sich dabei gegenüber ihren Vorgesetzten in ein gutes Licht zu rücken. Laut seinem Protokoll sah sich Portwich als der moralische Sieger des Gesprächs. »Dem Gauck wurde unmissverständlich aufgezeigt, was das MfS von ihm hält. Die Aussprache kann als Belehrung von Seiten des MfS gewertet werden. Er hat die notwendigen Fakten verstanden und zum Abschluss des Gespräches nichts Wesentliches mehr hinzuzusetzen gehabt.« Zum Abschied hinterließ der Geheimpolizist seine Telefonnummer, damit Gauck anrufen könne, »wenn er ein Problem hat«. Da war der Wunsch der Vater des Gedankens. Gauck rief nie an. In seinen Erinnerungen hielt er zu der Szene fest: »Das Ganze war nichts als Selbstbefriedigung, absolut sinnlos, aber der ganze Groll und die tiefe Empörung mussten einmal aus mir heraus, besonders über die ständigen Anwerbeversuche bei Minderjährigen.«
Operativer Vorgang »Signal«
Anfang September 1985 waren die Staatsschützer in Rostock in heller Aufregung. Drei junge Leute aus Gaucks Gemeinde, Dörte Neubauer, Ute Christopher und ihr Mann Gunnar, hatten nachts heimlich Parolen an Häuserwände 166 geschmiert, darunter »Das Leben hat doch keinen Sinn, wenn ich Kanonenfutter bin«. Ihr Pastor hatte im Vorfeld nichts von der Aktion der nächtlichen Graffiti-Künstler gewusst, erfuhr aber schnell davon, sie berichteten es ihm im Anschluss selbst. Stasi und Kriminalpolizei rückten zum Großeinsatz aus. Die Stasi setzte zur Ermittlung der Täter im Operativen Vorgang »Signal« Fährtenhunde ein, nahm Verdächtigen Geruchsproben ab, bei denen man Tücher mit dem Körpergeruch des Betroffenen in Einweckgläsern konservierte, kontrollierte heimlich Post, observierte Verdächtige und verwanzte Wohnungen. Schließlich wurde die Staatsmacht mit Hilfe eines jugendlichen IM fündig, und die überführten Täter landeten im Rostocker Untersuchungsgefängnis der Stasi.
Die Verantwortlichen in der Rostocker Stasizentrale hatten Gauck im Verdacht, Inspirator dieser »feindlichen Handlungen« gewesen zu sein. In dem Gespräch, das der MfS -Hauptmann Portwich mit Gauck im November führte, warf er dem Pastor vor, er sei »der ideologische Hintermann« für die Schmier-Aktion gewesen. Gauck zog das ins Lächerliche und erklärte, dass er die Täter, selbst wenn er sie kennen würde, nicht verraten und an das MfS ausliefern würde. Die Rostocker Geheimpolizisten setzten sich
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