Gauck: Eine Biographie (German Edition)
die dienstlich ins Ausland reisen durften auch, gleichzeitig zwei gültige Reisepässe der DDR . Einen, mit dem er private Reisen unternehmen konnte, ausgegeben von der zuständigen Meldebehörde. Der andere war ausschließlich für Dienstreisen bestimmt und enthielt die Dienstvisa.
Das letzte Mal vor dem Mauerfall reiste Gauck, mitten während der aufregenden Revolutionstage, am 5. November 1989, nach West-Berlin. Anlass war der achtzigste Geburtstag seines Onkels Gerhard Schmitt einen Tag später. Gauck erklärte zu diesem Besuch: »Ich dachte, bevor das alles zusammenkracht, fährst du noch mal rüber. Ich hatte Angst, dass der Staat die Revolution mit Gewalt niederschlägt.«
Der These, dass es sich um atypische und außergewöhnliche Reisemöglichkeiten für einen DDR -Bürger gehandelt habe, wiedersprach Joachim Gauck mit dem Hinweis: »Ich habe keine einzige Reise als ›untypische‹ Genehmigung erhalten. Diese Zunahme von Privatreisen passte in den achtziger Jahren in die Szene. Die Bundesrepublik hatte damals in den Verhandlungen mit der DDR beständig eine Erweiterung der Besuchsgründe ›aus familiären Gründen‹ herausverhandelt. Ich habe also die Möglichkeiten aller genutzt und keine einzige Sonderreise erhalten.«
In einem auffälligen Gegensatz zu Gaucks Möglichkeiten, in den Westen zu reisen, stand sein Auftreten gegen 170 über der Staatsmacht in den letzten Jahren der DDR . Der Rostocker Pastor verhielt sich damals gelegentlich so aggressiv, dass man den Eindruck gewinnen konnte, als gäbe es für ihn kein Halten mehr. Im Februar 1987 etwa ließ er sich über das baldige Ende des Kommunismus aus. Die Reformbestrebungen Gorbatschows, so der renitente Pastor, ließen deutlich erkennen, dass man nicht am Anfang, sondern am Ende einer Epoche stehe. Der Kommunismus habe sich als absolut unfähig erwiesen, die Menschen zufriedenzustellen und ihnen den erforderlichen Freiraum zu geben. Zwei Monate später ließ er seine Zuhörer wissen, er lebe in einem diktatorischen Unterdrückungsstaat ohne demokratische Spuren. Die staatliche Friedensbewegung in der DDR erinnere ihn an Goebbels Ausruf »Wollt ihr den totalen Krieg?«.
Der Rostocker Referent für Kirchenfragen, Manfred Manteuffel verstand angesichts der für Gauck vorgesehenen Reisemöglichkeiten die Welt nicht mehr und sprach sich in einem Bericht vom 26. Februar 1986 dagegen aus, Gauck in den Westen fahren zu lassen. »Pastor Gauck lebt, wie er wiederholt äußerte, in einem kritischen Verhältnis zu unserem Staat. […] In der Vergangenheit gab es bei Gauck öfters unqualifizierte Äußerungen zur Arbeit der Genossen des Ministeriums für Staatssicherheit. […] Aus seiner Gemeinde [mussten] Jugendliche in Haft genommen werden, die durch staatsfeindliche Handlungen aufgefallen waren (Schmierereien von politischen Losungen). Gauck hatte von diesem Sachverhalt Kenntnis und lehnte bei den Ermittlungen eine Arbeit mit dem Staat ab. Aus den angeführten Gründen sind wir in der Regel nicht interessiert an Auslandsbesuchen des Pastors Gauck.«
Manteuffels Veto wurde nicht berücksichtigt, er gehörte nicht zur Ebene derjenigen, die entschieden. Aber er durfte 171 die gute Botschaft, dass die Reise genehmigt war, überbringen. Das MfS wollte den Eindruck erwecken, dass der Kirchenreferent die entscheidende Instanz für die Genehmigung von Auslandsreisen sei, um seine Position im »Tagesgeschäft« gegenüber Gauck zu stärken. In ihrer nächsten Besprechung im März 1986 spielte Manteuffel Gauck vor, er habe entschieden, dass dieser aufgrund seines Verhaltens in der Vergangenheit nicht nach Fulda fahren dürfe. Daraufhin kam es zu einer mehrstündigen Debatte zwischen den beiden, die Manteuffel nutzte, um Gauck die Leviten zu lesen. »Es wurde ihm in diesem Zusammenhang gesagt, ass das Entgegenbringen von Vertrauen keine Einbahnstraße sein kann.« Gauck gelobte laut Manteuffel Besserung, woraufhin der Referent für Kirchenfragen dem Pastor scheinbar großzügig, tatsächlich aber »wie in Abstimmung mit der Abt. XX /4 festgelegt«, die Dienstreise zur EKD genehmigte. Gauck versprach Manteuffel im Gegenzug, ihm nach seiner Rückkehr aus Fulda über den Ablauf der Veranstaltung zu berichten. Das tat er dann auch, allerdings erzählte er dem Kirchenreferenten völlig belanglose Dinge. Enttäuscht hielt die Stasi fest: »Er ließ einige bedeutsame Fakten erkennen, ging aber nicht tiefgründig und allumfassend auf die Problematik ein.« Was Gauck
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