Gauck: Eine Biographie (German Edition)
gewesen wäre. Joachim Gauck war unbeirrbar der Auffassung, dass sein Platz in der DDR sei und dass man diese von innen heraus verändern müsse. Diese Haltung entsprach ganz der politischen und theologischen Linie seiner Landeskirche. Die Guten, hielt er seinem Erstgeborenen damals vor, seien nicht auf der Flucht. Die Guten stünden an der Front. Wenn er selbst es in der DDR aushalten konnte, so Gaucks Überzeugung, dann mussten es doch auch seine Kinder aushalten können. Dabei verdrängte er, dass seine Erwartungs 159 haltung im Widerspruch zu den Wünschen und Vorstellungen seiner Söhne für ein selbstbestimmtes Leben stand. Und er verdrängte auch, dass er als Pastor im »geschützten Raum« Kirche arbeitete, mit vielen Kollegen, die nicht nur gleichgesinnt waren, sondern sich auch eine gewisse Offenheit leisten konnten, im Gegensatz zu seinen Söhnen. Hinzu kam: Gaucks Entschlossenheit, die DDR nicht zu verlassen, galt nicht für ewig, sondern nur für die Zeit seiner Berufstätigkeit. Danach, als Pensionär, konnte auch er sich vorstellen, im Westen zu leben. »Wenn ich Rentner bin, gehe ich nach Schleswig-Holstein«, vertraute er Mitte der achtziger Jahre einmal seinen Bekannten Rüdiger und Martina Schmidt an.
Als Joachim Gauck von der Entscheidung seiner Söhne erfuhr, war er schockiert. Er stand ihrem Vorhaben nicht im Weg, aber er half ihnen auch nicht dabei, obwohl er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Er sah nicht ein, warum er seinen eigenen Kindern gegen seine Überzeugung dabei helfen sollte, die DDR zu verlassen. Zermürbt und depressiv geworden durch das lange Warten auf die Ausreisegenehmigung, bat Christian den Vater schließlich doch verzweifelt um Hilfe. Er hatte mitbekommen, wie dieser sich erfolgreich für zwei verhaftete Jugendliche seiner Kirchgemeinde eingesetzt und mitgeholfen hatte, ihre Ausreise in die Bundesrepublik zu erreichen. Christian hoffte, dass sein Vater seine diesbezüglichen Kontakte nutzen würde, damit auch seine Söhne auf eine Ausreiseliste kamen. Zu seiner großen Enttäuschung lehnte Joachim Gauck das ab: »Christian«, sagte er zu seinem Ältesten, »ich kümmere mich um Menschen, die es nötiger haben, die inhaftiert sind. Ihr könnt bleiben und hier die Dinge verändern.« Die Frustration über die Zurückweisung war groß. »Für andere setzt du dich ein! Für deine eigenen Söhne nicht!«, schrie Christian 160 seinen Vater an. Es kam zum Bruch zwischen den beiden. Joachim Gauck bewertete die damalige Situation zwischen ihm und seinem ältesten Sohn anders. »Es hat keinen Bruch und keinen Abbruch der Kontakte gegeben. Die Meinungsverschiedenheit blieb. Aber wir haben dem je anderen die Lauterkeit der eignen Einstellungen nicht abgesprochen.«
25 Mit Daniela Schadt und seinen Kindern Katharina, Christian und Gesine
Die Nerven lagen bei allen Familienmitgliedern blank. Gesine Gauck verarbeitete ihren Schmerz über die bevorstehende Trennung von den Brüdern in ihrem Tagebuch: »Schrecklich das Gefühl, das mich jedes Mal überkommt, 161 wenn ich daran denke, dass es jede Woche so weit sein kann. […] Es tut sehr weh […]« Hansi Gauck stellte sich anders als ihr Mann auf die Seite der Söhne und bestärkte sie in ihrem Vorhaben. Die ohnehin vorhandenen Spannungen zwischen den Eltern wuchsen weiter an.
Joachim Gauck war also mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber den Ausreisewünschen seiner Söhne innerhalb der Familie isoliert, was allein schon an ihm nagte. Zu dem familiären Zerwürfnis könnte beigetragen haben, dass die zwei gleichzeitig gestellten Ausreiseanträge seiner Söhne eine Hypothek für seine Kirchenkarriere darstellten. Die offizielle Haltung der Kirche in den achtziger Jahren gegenüber Ausreisewilligen war zurückhaltend. Sie unterstützte derartige Vorhaben nur in Ausnahmefällen, stellte auch Ausreisewillige beispielsweise als Hausmeister ein und kündigte Mitarbeiter, wenn sie Ausreiseanträge stellten, nicht. Aber wer einen Ausreiseantrag gestellt hatte, wurde für das Theologiestudium, etwa am Sprachenkonvikt in Ost-Berlin, in den achtziger Jahren offiziell nicht mehr zugelassen. Ein gutes Licht warfen die Ausreiseanträge seiner Söhne nicht auf Joachim Gauck. Nach dem Motto: »Wenn er schon nicht mal Ordnung in seiner eigenen Familie hat […]« In dasselbe Dilemma geriet er gegenüber dem Staat. Zwar war er ein ewiger Kritiker des real existierenden Sozialismus, aber ganz verderben wollte er es sich mit der Staatsmacht nie.
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