Gauck: Eine Biographie (German Edition)
wirklich über seine Fuldareise dachte, gab er gegenüber einem anderen IM preis, zu dem er sagte, dass die Politiker in der DDR gegen Richard von Weizsäcker »armselige Stümper« seien.
Für die inhaftierte Uta Christopher wurden Gaucks Möglichkeiten, in den Westen zu reisen, zum Glücksfall. Während der Tagung in Fulda, im April 1986, konnte Gauck den teilnehmenden Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker auf ihr Schicksal ansprechen. Wenig später war der Ost-Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Vogel, Honeckers 172 Mann für den Häftlingsfreikauf, mit dem Fall befasst. Im März 1987 wurde Ute Christopher vorzeitig in die Bundesrepublik entlassen. Gaucks Engagement führte also dazu, dass sie ihre mehrmonatige Haftstrafe nicht bis zum Ende absitzen musste. Für ihren Mann, Gunnar Christopher, konnte Gauck weniger tun. Er versuchte vergeblich, an dessen Strafverfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit beim Bezirksgericht Rostock durchgeführt wurde, teilzunehmen. So ließ er sich am Prozesstag vom Pförtner nicht abweisen, sondern setzte sich zusammen mit der Mutter von Christopher sowie dessen Schwiegermutter im Gerichtssaal demonstrativ in die erste Reihe. Als das Gericht erschien und die Öffentlichkeit ausschloss, verließ Gauck den Saal unter wütendem Zuschlagen der Tür. So berichtete es Wolfgang Schnur, alias »Torsten«, der auch die Strafverteidigung von Gunnar Christopher übernommen hatte, kurz darauf der Stasi.
Familiärer Tiefpunkt
Vier Jahre lang ließ die DDR Christian und Martin Gauck im Hinblick auf ihren Ausreiseantrag im Ungewissen. Vergeblich hatte ihre Mutter versucht, ihnen bei ihrem Vorhaben zu helfen. Bei einem Besuch in West-Berlin Mitte der achtziger Jahre hatte sie sogar die Rechtsanwältin Barbara von der Schulenburg aufgesucht, um sich bei ihr für die Ausreise ihrer Söhne einzusetzen. Von der Schulenburg war damals Beauftragte der Bundesregierung für die Familienzusammenführung zwischen DDR und BRD . Die Anwältin konnte aber nicht weiterhelfen. »Wir bearbeiten unendlich viele Ausreiseanträge«, erklärte sie der enttäuschten Mutter, »ich kann Ihnen wenig Hoffnung machen.« Gaucks Frau verzweifelte damals fast an der Situation und spielte 173 ernsthaft mit dem Gedanken, ebenfalls einen Ausreiseantrag zu stellen.
Im Dezember 1987 durften Martin und Christian Gauck endlich mit ihren Familien die DDR verlassen. An zwei Tagen hintereinander versammelte sich die Familie auf einem Bahnsteig des Rostocker Hauptbahnhofs, um Abschied zu nehmen. Am 10. Dezember erst von Christian, einen Tag später von Martin. Bei Hansi Gauck flossen die Tränen. Ihr Mann ließ das in dem Moment nicht an sich herankommen und flüchtete sich in eine innere Abwehrhaltung. An seine Frau gewandt sagte er: »Freu dich doch, jetzt hast du, was die Kinder wollten.« Sie deutete daraufhin auf ihr Herz und fragte: »Andere Menschen haben hier ein Herz. Was hast du?«
Jahrzehnte später erklärte Gauck sein damaliges Verhalten und Empfinden. »Das Problem war: Ich wollte den Schmerz nicht zulassen.«
Seine beiden Söhne waren erschüttert, als der Moment der Trennung von der zurückbleibenden Familie kam. Christian erinnerte sich: »Als ich daran zurückdachte, bin ich im Zug fast heulend zusammengebrochen.« Nicht viel anders ging es Martin. Er brach in Tränen aus, als sein Zug die Grenze zur Bundesrepublik überquert hatte. Joachim Gauck hatte sich damals in seine Ablehnung der Ausreise der Söhne verrannt. Keiner in der Familie bekam mit, wie sehr auch er selbst unter der Situation litt, er war nicht in der Lage, seine Gefühle zu zeigen. Erst als er der alten Freundin der Familie, Beate Brodowski, im Anschluss erzählte, was geschehen war, brach ihm die Stimme, und dann liefen auch ihm die Tränen über die Wangen.
Das Weihnachtsfest 1987 wurde für die Rumpf-Familie zu einem Tiefpunkt ihres Lebens. Gesine, zwanzig Jahre alt, klagte weinend gegenüber Beate Brodowski: »Die sehe 174 ich nie wieder.« In ihrem Tagebuch hielt sie fest: »Das tut so weh, jetzt vor Weihnachten – alle weg. Diese Ohnmacht, diese Hilflosigkeit, wenn man doch die Grenze einreißen oder wenigstens dafür sorgen könnte, dass man sich regelmäßig besuchen könnte. Es ist wie ein Tod.« Gesine hatte einen anderen Weg gewählt als ihre Brüder. Während diese rebellierten und irgendwann keine Zukunft für sich und ihre Familien in der DDR mehr sahen, fand sie Halt in der Kirche, wo sie im Chor sang und eine Ausbildung
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